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Europa

Das europäische Asylrechtssystem - nationales versus EU-Recht?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlDienstag, 22.10.2024

Man fragt sich zunehmend, wer entscheidet eigentlich über politische Maßnahmen in der EU und ihren Mitgliedsstaaten. Die Gerichte verschiedener Ebenen und Staaten, die gewählten Politiker in den Staaten oder gewählte Politiker unter medialer Nutzung der Interpretation von Urteilen von Gerichten?

Ein aktuelles Beispiel ist das europäische Asylrechtssystem. Viele Politiker, Aktivisten oder auch Juristen meinen, dass etwa eine Zurückweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen gegen nationale und europäische Gesetze verstoßen würde. Dabei ist das offensichtlich eine Interpretationsfrage und keinesfalls eine endgültige juristische oder politische Gewissheit. Und selbst wenn das oberste Gericht endgültig entschieden hat, garantiert dieses Urteil keine funktionierende Lösung der Probleme. Auch sind es kein rein moralisch zu entscheidenden Probleme. Eher eine komplizierte Zwickmühle die sich über verschiedene Wünsche, unterschiedliche (Moral)Vorstellungen, komplexe Rechtssysteme, den begrenzten Ressourcen und den Lebenswelten der Europäer aufbaut.

Der ehemalige deutsche Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier hält etwa juristisch "Zurückweisungen nach Paragraf 18 Asylgesetz nicht nur für möglich, sondern sogar für geboten" an. Laut FOCUS plädiert er

für eine stärkere Berücksichtigung des Primärrechts, also der europäischen Verträge, und nicht nur der Richtlinien und Verordnungen. Das Primärrecht legt die Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten fest. Es bildet den rechtlichen Rahmen für die Formulierung und Umsetzung der Politik durch die EU-Institutionen. Der Ex-Verfassungsgerichtspräsident verweist auf Artikel 4, Absatz 2 des EU-Vertrags, der besagt, dass die Union die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten achtet. Dies bedeute, dass die Grundstruktur der Souveränität der Mitgliedstaaten und ihre verfassungsrechtliche Identität nicht erschüttert werden dürften. „Die EU ist kein Staat, sie ist ein besonderer Verbund souveräner Staaten“, betonte Papier im Gespräch mit der „Welt“. 

Ausgehend vom Artikel 16a des Grundgesetzes glauben viele deutsche Bürger, trotz der Dublin-Regelung, das jeder, der an unserer Grenze Asyl sagt, auch eingelassen werden muß. Steht doch in diesem Artikel unter Absatz 1: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Im Absatz 2 folgt jedoch:

Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

Im deutschen Asylgesetz selbst steht unter § 18 "Aufgaben der Grenzbehörde":

(1) Ein Ausländer, der bei einer mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörde (Grenzbehörde) um Asyl nachsucht, ist unverzüglich an die zuständige oder, sofern diese nicht bekannt ist, an die nächstgelegene Aufnahmeeinrichtung zur Meldung weiterzuleiten.
(2) Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn
1. er aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) einreist,
2. Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird, oder
3. er eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er in der Bundesrepublik Deutschland wegen einer besonders schweren Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist, und seine Ausreise nicht länger als drei Jahre zurückliegt.
(3) Der Ausländer ist zurückzuschieben, wenn er von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird und die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen.

Eigentlich eine klare Ansage. Daran ändert auch grundsätzlich der nächste Punkt des Gesetzes nichts:

(4) Von der Einreiseverweigerung oder Zurückschiebung ist im Falle der Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) abzusehen, soweit
1. die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist oder
2. das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat es aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland angeordnet hat.
Für Papier gibt es keine europarechtlichen Regelungen, die über deutschem Recht wie dem Paragrafen 18 des Asylgesetzes stehen. Er argumentiert in seinem Interview in der WELT bezüglich der Europäischen Gesetze wie folgt:
Richtig ist, dass das europäische Recht im Grundsatz Vorrang hat vor dem nationalen Recht. Aber dieser Vorrang hat eben auch Grenzen. Nach Artikel 23 des Grundgesetzes darf der Bund zwar Hoheitsrechte auf die EU übertragen. Dazu zählen aber nicht die in den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes niedergelegten Grundsätze von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Diese Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats dürfen nicht ausgehöhlt werden und setzen der Europäischen Union zwingende Grenzen.
Für ihn verletzt die unkontrollierte Migration den Kernbereich staatlicher Souveränität, wie ihn die Europäischen Verträge selbst beschreiben. Das umfasst auch und gerade das Recht der Mitgliedstaaten, dass die demokratisch legitimierten, gewählten Organe darüber entscheiden können,
ob und unter welchen Voraussetzungen Drittstaatsangehörige in Deutschland einreisen und Aufenthalt nehmen dürfen. Dieses zentrale Souveränitätsrecht eines jeden Mitgliedstaates wird ausgehöhlt, wenn beispielsweise Deutschland jede Person aus aller Welt bedingungs- und voraussetzungslos einreisen lassen müsste, sofern diese Person formal ein Asylbegehren geltend macht.
Wenn jetzt verschiedene Mitgliedsländer wie etwa Finnland, Dänemark, die Niederlande oder Polen eigene nationale Wege gehen, ihre Grenzen stärker kontrollieren und auch Asylzentren außerhalb der eigenen Grenzen aufbauen wollen, suchen sie offensichtlich nach Lösungen jenseits des Europarechts. Dazu wieder Papier in der WELT.
Diese Staaten reagieren auf das offensichtlich nicht funktionsfähige und nicht durchsetzbare Regelwerk insbesondere im europäischen Sekundärrecht. Wer daran festhält, der fördert nicht wie gewünscht die europäische Solidarität und die europäische Integration, sondern beschädigt sie – und gibt sie letztlich auf Dauer preis. Ich plädiere dafür, verstärkt das Primärrecht in den Blick zu nehmen, also die Europäischen Verträge, und nicht nur Richtlinien und Verordnungen.

Für Papier würde der Europäische Gerichtshof wenn er dieses europäische Sekundärrecht gegen Deutschland und die anderen Länder gegen die nationalen Lösungen auslegte, jenseits der an die EU delegierten Kompetenzen. Sei doch laut  Artikel 72 AEUV die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die öffentliche Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit unberührt. D.h. für ihn: 

Deutschland kann nicht durch sekundäres EU-Recht und dessen Auslegung durch die europäischen oder nationalen Gerichte gezwungen werden, grenzen-, voraussetzungs- und asylgrundlos Menschen aufzunehmen. ……

Ein solcher juristischer Zwang wäre aus sekundärem Europarecht abgeleitet und ließe EU-Primärrecht, deutsches Verfassungsrecht und nationales Asylrecht außer Acht - meint zumindest Hans-Jürgen Papier. Und damit ist er wohl nicht allein.

Das europäische Asylrechtssystem  - nationales versus EU-Recht?

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