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Feminismen

Geschlechterfragen als Sprachproblem?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlDienstag, 29.12.2020

Es gibt Sprachen, etwa einige asiatische,  Finnisch, Ungarisch oder Estnisch, da haben Pronomina kein Geschlecht. Sätze wie „er/sie liebt ihn/sie“ und „er/sie ist klüger als er/sie“ sind dort in allen logisch möglichen Geschlechterkombinationen völlig gleich. Der Autor Oldamur Hollòczki ist Ungar und erlebte die Differenz wie folgt:

Als wir ungarischen Kinder in der Schule die englischen Fürwörter „he“ und „she“ lernten, fand ich es extrem schwierig, in jedem Satz über Personen das korrekte Geschlecht der menschlichen Subjekte oder Objekte mitzuteilen. Deutsch fiel mir noch schwerer, weil plötzlich nicht nur Leute, sondern alle Dinge Geschlechter hatten und jeder Fehler Stirnrunzeln hervorrief. 

Es scheint, in diesen Völkern ist das Ideal der gendergerechten Sprache tatsächlich erfüllt. Es liegt nahe, empirisch zu sehen, ob diese Länder dann auch gerechtere Gesellschaften hervorbringen, z.B. freier von Homophobie oder Frauenfeindlichkeit sind? Der Artikel analysiert das anhand mehrerer Kriterien. So etwa an den Ergebnissen des „Rainbow Report“ 2020, der die Lage der Menschenrechte mit Blick auf Ämterzugang und andere öffentliche wie private Freiheiten und Chancen in Europa und Zentralasien erhebt und auf einer Skala zwischen null und hundert Prozent (hundert „völlige Gleichstellung der Minderheiten“ und null „extreme Diskriminierung") bewertet. Deutschland wird dabei 51 Prozent zugewiesen. 
Der ehemalige Ostblock verzeichnet allgemein niedrigere Werte, die höheren findet man bei den skandinavischen und den Benelux-Ländern. Finnland steht mit 66 Prozent zwischen Norwegen (68 Prozent) und Schweden (63 Prozent), während Ungarn, das gegenüber dem letzten Erhebungsjahr acht Prozent verloren hat, mit seinen 33 Prozent immer noch besser dasteht als etwa Rumänien (19 Prozent), Bulgarien (20 Prozent) oder die Tschechische Republik, aber schlechter als Slowenien (42 Prozent) oder Kroatien (46 Prozent). Das dritte Land der Sprachenfamilie, über die ich rede, Estland, steht höher (38 Prozent) als etwa die Schweiz (36 Prozent). .... während Italien (23 Prozent), Monaco (11 Prozent) und San Marino (13 Prozent) zu den am stärksten diskriminierungsbereiten auf dem Kontinent gehören, mit schlechteren Werten als viele osteuropäische Länder, inklusive Ungarn.

Auch bei den drei anderen herangezogenen Kriterien - Frauengleichstellung bei der Bezahlung, Frauen in Führungspositionen und Gewalt gegen Frauen zeigen sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen gendergerechter Sprache und gerechter Gesellschaft:
Eine europaweite Studie der „FRA European Union Agency for Fundamental Rights“ zeigt aufs Neue weit gestreute Werte für die fraglichen Länder. In Ungarn (28 Prozent) und in Estland (22 Prozent) ist der Prozentsatz von Frauen, die körperliche und/oder sexualisierte Gewalt gemeldet haben, niedriger als im europäischen Durchschnitt (33 Prozent), niedriger auch als in Deutschland (35 Prozent) oder in Frankreich (44 Prozent), in Finnland dagegen auffällig höher (47 Prozent). Diese Werte ähneln jedes Mal stark denen der direkten Umgebung.
Eher sieht man etwa in Ungarn: selbst mit  geschlechtslos formulierten Gesetzen und Dokumenten werden Parlamentsmehrheiten gewählt, die dagegen stimmen, häusliche sexualisierte Gewalt strafrechtlich zu belangen.


Geschlechterfragen als Sprachproblem?

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Kommentare 3
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor 3 Jahren

    Es klingt so überzeugend - Sprache X kennt keine genderUnterscheidung in der Sprache und ist 'trotzdem' kein Land der Seeligen der Gleichberechtigung, also gäbe es keinen Zusammenhang zwischen Bezeichnung und Behandlung, zwischen Sprache und Denken?

    Länder wie Ungarn Deutschland Finnland etc. sind in vielerlei Hinsicht so unterschiedliche Gesellschaften, dass ein Aspekt - die Sprache - herausgepickt keine große Aussagekraft besitzt. Allein so etwas wie Wohlstand dürfte viel größere Auswirkungen auf Diskriminierung haben.

    Ja, diskriminierungsfreie Sprache (in den Sprachfamilien die gender unterscheiden bzw. eben nicht) ist kein Alleinheilmittel - aber ihr jede Wirkung abzusprechen, leugnet die vielen Studien hierzu und ... nun, dem unwillkürlichen Satz von Denken Sprechen und Handeln.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      Welche Studien belegen denn kausale Zusammenhänge zw. zwischen gendergerechter Sprache und gerechter Gesellschaft?

      Eine Wirkung wird es schon geben, wenn man das Gendern durchsetzt. Aber welche?

  2. Gabriel Koraus
    Gabriel Koraus · vor fast 4 Jahre

    ....uuh, das ist allerdings mal ein interessanter Aspekt! Danke für diesen piq!
    Ich bin persönlich kein Freund des sprachlichen Dilettantismus, welcher mit gendergerechter Sprache einhergeht, befleißige mich allerdings dennoch derselbigen, da ich in meinem Arbeitsalltag in der Tat andauernd über das generische Maskulinum stolpere und mich dieses schlussendlich am allermeisten nervt.
    Nichts desto trotz bleibt es wichtig, die Perspektive nicht zu sehr zu verengen und die reale Wirkmächtigkeit z.B. linguistischer Konfigurationen zu überschätzen!

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