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Flucht und Einwanderung

Robert Koch hat Menschen getötet – warum das RKI einen anderen Namen braucht

Mohamed Amjahid
Buchautor und Journalist

Reporter, Kurator, Autor für deutsche und internationale Medien. Studium der Politikwissenschaft/Anthropologie. Themen: Weiße Mehrheitsgesellschaft, MENA, Autokratien, Kapitalismuskritik, Feminismus und kritische Theorie.

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Mohamed AmjahidMontag, 13.07.2020

Sein Name ist allgegenwärtig: Dieser Mediziner, Mikrobiologe und Hygieniker ist nicht erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie in aller Munde. Ich selbst bin in Frankfurt am Main auf eine Robert-Koch-Schule gegangen. Als Helden und Forschungspionier sollen wir uns alle an den vor mehr als 100 Jahren verstorbenen Koch erinnern. Dabei war dieser Mann vor allem ein skrupelloser Straftäter, der im Auftrag des Kaiserreichs Menschen in Afrika quasi ermorden ließ. 

In den vergangenen Wochen klärte der Historiker Jürgen Zimmerer die deutsche Öffentlichkeit immer wieder über die Geschichte Kochs auf. In Gastbeiträgen und Interviews erzählt Zimmerer von den grausamen Menschenversuchen, die Koch in den deutschen Kolonien in Afrika ausgeführt hat und von Kochs Intention: 

Er wurde im Dienste der deutschen Kolonialverwaltung – er war oft auf Reisen, oft in Diensten der britischen und der deutschen Kolonialverwaltung, er war also auch Deutschlands bekanntester Kolonialmediziner sozusagen – nach Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, geschickt, um eben die Schlafkrankheit zu bekämpfen, eine tödliche Krankheit, die zu Zehntausenden von Opfern führte und eben auch die afrikanische Arbeitskraft eben gefährdete, und deshalb wollte man sie bekämpfen.

Robert Koch experimentierte beispielsweise mit dem arsenhaltigen Mittel Atoxyl – ohne die Einwilligung der Testpersonen und wissentlich, dass es einen nachhaltigen Schaden anrichten werde – an Körpern von Afrikaner*innen. Eine Nebenwirkung: die dauerhafte Erblindung. Robert Koch hat es zudem billigend in Kauf genommen, dass Menschen wegen seiner Forschung gestorben sind. In diesem Beitrag des Deutschlandfunks wird die Todesangst seiner unfreiwilligen Probanden beschrieben

In Afrika fühlte sich Koch frei, dort gab es keine Auflagen, keine neidische Konkurrenz, keine moralischen Standards, an die er sich hätte halten müssen. Die Körper Schwarzer Menschen sah er als Testmaterial, mehr nicht. Dem deutschen Kaiserreich und Unternehmen ging es in erster Linie um die Profitabilität der Kolonien. Die deutsche Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zogen deswegen in Afrika an einem Strang. 

Dies ist nun kein neues Wissen, kein Durchbruch der Geschichtswissenschaften. Viele lokale Initiativen in Deutschland sprechen schon seit langer Zeit über dieses dunkle Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte. Auch Zimmerer verweist darauf. Doch es ist allgemein bekannt, wie groß der Widerstand vieler Menschen in Deutschland ist, aus der deutschen Geschichte für die Gegenwart und die Zukunft zu lernen. 

Warum sollten wir uns also im Jahr 2020 mit Namen und Biografien von Menschen wie Robert Koch beschäftigen? Warum sollten wir eigentlich kritisch über die Benennung des Robert-Koch-Instituts nachdenken? Nun: Erst im April hatten zwei französische Ärzte vorgeschlagen, dass man potenzielle und risikobehaftete Medikamente und Impfungen gegen Covid-19 doch unkompliziert und schnell in Afrika testen könne... 

Robert Koch hat Menschen getötet – warum das RKI einen anderen Namen braucht

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Kommentare 16
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als 4 Jahre · bearbeitet vor mehr als 4 Jahre

    So wichtig wissen über die namens-Patrone ist, muss doch klar gemacht werden dass ein Unterschied besteht zwischen etwa Robert Koch und Hermann von Wissmann, erster profitierte vom Kolonialismus, führte unethische experimente durch und hat "quasi" getötet. letzterer war verantwortlicher kolonialHerr und hat aktiv gemordet. So wie auch unterschiede zwischen Marx mit rassistisch antisemitischen Äußerungen und etwa Hitler bestehen. Das Bild einer Person ist selten klar. Aber ja: Namensgebung ist Huldigung. Das kann sich ändern. Muss sich ändern. Kann auch - nach differenzierter Diskussion - bedeuten, jemandes Namen beizubehalten trotz dunkler punkte. Wenn man keinen besseren findet!
    Obacht aber sich von Diskussionen dieser (!) art nicht ablenken zu lassen: Hermann von Wissmann - Straßen gehören ja wohl vorrangig und zuerst abgeschafft...

  2. Natalie Mayroth
    Natalie Mayroth · vor mehr als 4 Jahre

    Das Thema ist nicht unbekannt, hier ein Beitrag von 2010:
    "Seinen 100. Geburtstag feierte das Robert-Koch-Institut (RKI) noch unbedarft. Nur wenige seiner Forscher hätten sich im Dritten Reich an den Menschenversuchen des NS-Regimes beteiligt, ist in der Festschrift aus dem Jahr 1991 zu lesen." –Aber hat dich das geändert? https://www.sueddeutsc...

    1. Christoph Weigel
      Christoph Weigel · vor mehr als 4 Jahre

      danke für diesen hinweis! bezüglich des timing der aufarbeitung bei MPG und DFG bleibt anzumerken, daß diese erst geschah, als die meisten der im 3. reich "verstrickten" nicht allein emeritiert sondern tatsächlich verschieden waren. und leute wie benno müller-hill (https://en.m.wikipedia...) nicht mehr so leicht als querulanten oder nestbeschmutzer abgetan werden konnten.

  3. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als 4 Jahre

    Wer Robert Koch "vor allem ein skrupelloser Straftäter" betrachtet, der rückt ihn nah an die Menschenexperimente von Nazi-Mediziner. Aber auch international wird Robert Koch vor allem als zentraler Begründer der modernen Bakteriologie und Mikrobiologie gesehen.

    Wahrscheinlich muss man etliche Forscher in ihren Ambivalenzen und Doppelexistenzen sehen? Ist das nicht der Grund für das immergrüne Faust-Drama (ich meine nicht nur das von Goethe)? In allen Variationen dieses großen Stoffs geht ein Wissenschaftler einen Pakt mit dem Teufel ein.

    Oder auf der historischen Ebene von Robert Koch: Fritz Haber war einer der wichtigen Chemiker und Nobelpreisträger seiner Zeit. Als verfolgter Jude musste er aus Deutschland fliehen. Aber: Während des Ersten Weltkriegs war er der "Vater des Gaskriegs".

    Diese Widersprüche müssen ausgehalten werden, so bitter es ist.

    Natürlich sollte das Robert-Koch-Institut diese benennen und nicht hinter wolkigen Aussagen verbergen.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 4 Jahre

      Danke, so sehe ich das auch .....

    2. Maximilian Rosch
      Maximilian Rosch · vor mehr als 4 Jahre

      Ich kann Deine Argumentation nachvollziehen. Ich finde aber auch, dass wir darüber reden sollten, ob es keinen Namensgeber mit größerer Vorbildwirkung gibt. Diesen Aspekt fand ich im DLF-Beitrag gut eingebracht.
      Und überhaupt stellt sich mir die Frage, wie viel Schlechtes mit bahnbrechenden Entdeckungen/ Leistungen aufgewogen werden kann? Muss das von uns wirklich ausgehalten werden? Ich finde es jedenfalls gut, darüber zu reden und bin dankbar für Deine Einlassung.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 4 Jahre

      @Maximilian Rosch Ich glaube nicht, dass es um aufwiegen von schlecht und gut geht bei diesen Menschen in ihrer Zeit. Es ist einfach überheblich, mit unsren heutigen idealisierenden Vorstellungen und Erfahrungen auf die komplexe, widersprüchliche, brutale und schwierige Vergangenheit zu blicken und moralisch mit unseren Maßstäben über Menschen damals zu urteilen. In klaren Fällen mag das notwendig sein - aber wenn jetzt schon Kant oder Marx gestürzt werden sollen, wo führt dieser Säuberungswahn hin? Wir werden damals noch weniger ideale Menschen finden als vielleicht heute. Vorbild ist eine Funktion von Namensgebern, das Wissen über die schwierige Zeit mit ihren damaligen Weltvorstellungen eine andere. Wir müssen wissen wie Geschichte war, nicht wie wir uns wünschen, dass sie gewesen wäre ....

    4. Georg
      Georg · vor mehr als 4 Jahre

      @Thomas Wahl Es ist doch das eine, festzustellen, dass Robert Koch vermutlich kein vom Bösen durchdrungener Geist war und das andere, festzustellen, dass er trotzdem zutiefst unmoralisch gehandelt hat (unwissentlich, vermutlich). (Und dann kann man, wenn man denn will, vllt sogar noch ein Fazit unter ein Lebenswerk ziehen und sagen: "Insgesamt positiver Beitrag.")
      Diese beiden Kategorien werden zunehmend in unseren gesellschaftlichen Diskursen verwechselt, mit verheerenden Folgen für die eigentlich möglichen Erkenntnisprozesse. Wir fühlen uns moralisch so erhaben, dass das Aufzeigen unmoralischen Verhaltens stets sofort als charakterliche Kritik verstanden wird.

      Dinge nach Menschen zu benennen, ist ein komischer Brauch der Verehrung (und dann sind fast alle nach Menschen benannten Dinge wieder einmal überwiegend nach weißen Männern benannt).

      Wenn wir weiterhin Dinge nach Menschen benennen wollen (was eindeutig einen Akt der Huldigung darstellt, differenzierte Darstellung eines Lebenswerks funktioniert auf andere Weisen deutlich besser), dann denke ich schon, dass man auch moralischem Fortschritt (das gibt es, gesellschaftliche Erkenntnis geschieht dauerhaft) Rechnung tragen kann und diese Objekte entweder ohne Namensgeber:innen bennent bzw. einfach Namen von Menschen wählt, die wir aktuell als moralisch sehr vorbildhaft handelnd ansehen. Davon gibt es genug. Diese in den Mittelpunkt zu stellen und beim Namen zu nennen, macht einen Unterschied. Geschichtliches Wissen muss dadurch keineswegs verloren gehen.

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 4 Jahre · bearbeitet vor mehr als 4 Jahre

      @Georg Ist es wirklich nur die Huldigung bei der Namensnennung, nicht auch die Erinnerung an Zeitgeist, Taten und Fehler? Also ich denke bei Straßennamen und Denkmälern weniger an die moralische Vorbildlichkeit und eher an das, was damals geschah, wie und warum es zur Namensgebung kam. Ich könnte ja noch verstehen, wenn man über Bismarckplätze diskutiert. Aber müssen wir wirklich Bismarckheringe oder Mohrenköpfe umbenennen? Schillerlocken sind ja wohl ok.

      Wer oder was aktuell als moralisch vorbildlich gilt verändert sich mit fast jeder Generation. Die 68er ließen Mao und Onkel Ho hochleben. Ich kenn noch Stalinalleen. Ja, vielleicht ist es ein komischer Brauch Strassen nach Menschen zu benennen. Nummerieren wir sie doch .....

    6. Christoph Weigel
      Christoph Weigel · vor mehr als 4 Jahre

      @Thomas Wahl auch wenn sich die zeit des neoliberalismus dem ende zuneigt, kann ich mir kaum vorstellen, dass diverse städte deswegen ihren "marktplatz" umbenennen werden.

    7. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 4 Jahre

      @Christoph Weigel Jedenfalls nicht freiwillig.

    8. Yvonne Franke
      Yvonne Franke · vor mehr als 4 Jahre

      @Thomas Wahl Ich möchte dazu auf den heutigen piq von Barbara Streidl hinweisen: https://www.piqd.de/su...
      Caroline Randall Williams schreibt in der New York Times zum Beispiel: "But there are still those — like President Trump and the Senate majority leader, Mitch McConnell — who cannot understand the difference between rewriting and reframing the past. I say it is not a matter of “airbrushing” history, but of adding a new perspective." Das sagt sehr deutlich worum es eigentlich geht. Um die Betrachtung der Vergangenheit aus einem neu überdachten Blickwinkel.

    9. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 4 Jahre · bearbeitet vor mehr als 4 Jahre

      @Yvonne Franke Aber was ist an diesem Blickwinkel wirklich neu. Jeder, der sich mit Geschichte und ihrer Komplexität und Ambivalenz befaßt hat, kennt eigentlich die koloniale Vergangenheit, die Untaten und das Denken in Rassenunterschieden, von überlegenen Rassen und Kulturnationen - nicht nur von Europäern. Mir scheint es geht eher um die Absolutierung eines unterkomplexen Blickwinkels.

    10. Maximilian Rosch
      Maximilian Rosch · vor mehr als 4 Jahre

      @Thomas Wahl Wie gesagt, mir geht es darum, darüber reden zu können. Und wir müssen darüber reden, denn ich vermute, dass vielen Menschen in Deutschland die Hintergründe von Robert Kochs Wirken (oder auch anderer berühmter Persönlichkeiten) nicht bekannt sind. Und warum sollten wir für die Namensgebungen in der heutigen Zeit nicht heutige moralische Standards anlegen? Selbstverständlich ist eine differenzierte Betrachtung wichtig und eine historische Einordnung gehört da für mich dazu. Dabei von einem "Säuberungswahn" zu sprechen, ist für mich eine unnötige Pauschalisierung, die die Debatte verkürzt. Ich denke eher an ein Vorgehen, wie es Christoph Weigel weiter unten in den Kommentaren beispielhaft schön darlegt, auch wenn das natürlich von Fall zu Fall eingeschätzt werden muss.

    11. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 4 Jahre · bearbeitet vor mehr als 4 Jahre

      @Maximilian Rosch Ich denke, dass unsere heutigen moralischen Standards oft nicht auf die Vergangenheit passen. Da ist immer eine gewisse moralische Überheblichkeit dabei. Wer von uns weiß, wie er sich in diesen oft brutalen Zeiten mit ihren damaligen Regeln verhalten hätte? Ich rede jetzt nicht über Typen wie Hitler oder Stalin und deren Handlanger. Den Vorschlag von Chr. Weigel finde ich interessant. Mir wäre allerdings lieber, wir redeten mehr über die Geschichte selber und weniger über Umbenennungen.

    12. Christoph Weigel
      Christoph Weigel · vor mehr als 4 Jahre

      widersprüche aushalten... da fällt mir das fritz haber institut' (berlin) der max-planck-gesellschaft (MPG) ein. diese hat ja auch einen ver/ge-ehrten deutschen wissenschaftler als namenspatron − weil 'kaiser wilhelm gesellschaft' irgendwann einfach nicht mehr ging. und besagter max planck sollte neben dem 'planck'schen wirkungsquantum' auch für seine unterschrift unter dem schändlichen 'manifest der 93' (https://de.wikipedia.o...) in erinnerung bleiben.
      ich denke, ein passabler weg der auseinandersetzung mit denkmälern und problematischen namensgebungen für institutionen etc. sind umbenennungen wie zuletzt in berlin: 'otto-hahn-bau' wird zu 'hahn-meitner-bau' (''https://www.fu-berlin....). oder umwidmungen, wie zuletzt in bolzano beispielhaft durchgeführt, siehe: 'A small Italian town can teach the world how to defuse controversial monuments' https://www.theguardia...

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