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Fundstücke

Moderne Architektur als gelebte Utopie: Werner Düttmann

Michael Hirsch
Philosoph und Politikwissenschaftler, freier Autor und Dozent
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Michael HirschSonntag, 07.03.2021

Der ausführliche Beitrag in der Süddeutschen Zeitung ist ein Glücksfall für die Zeitungsleserin: Dafür abonniert man eine Zeitung! Der Beitrag ist eine Perle der Architekturgeschichtsschreibung. Er behandelt den bedeutendsten Westberliner Nachkriegsarchitekten, Werner Düttmann, der dieser Tage 100 Jahre alt geworden wäre.

Düttmann hat die Stadt architektonisch wie kein zweiter geprägt, als praktischer Architekt, Senatsbaudirektor, Hochschullehrer und Akademiepräsident. Seine bekanntesten Bauten sind das Brückemuseum am Grunewald, die Akademie der Künste und Hansabücherei im Hansaviertel sowie Großwohnbauten für das Märkische Viertel und am Südende der Friedrichstraße am Mehringplatz. Gerade bei Letzterem zeigt sich die bemerkenswerte historische Wandlungsfähigkeit von Architektur. Galten sie doch in den 70er- und 80er-Jahren als Inbegriffe seelenloser Wohnmaschinen und urbanistischer Verwüstung.

Dass soziale Brennpunkte daraus wurden, sahen manche damals schon in der Architektur selbst begründet. Dieses Meinungsbild hat sich aber in den letzten Jahren merklich gewandelt, was neben einer ganzen Menge von Instandsetzungsmaßnahmen auch daran liegen mag, dass die Überhitzung des Immobilienmarkts auf einmal wieder ein wärmeres Licht auf Großsiedlungen und sozialen Wohnungsbau wirft. Der große Berlin-Kenner Hanns Zischler erinnert in einem neuen Band, der pünktlich zum Geburtstag über Düttmann erscheint, außerdem an den Umstand, dass die Hochhäuser am Mehringplatz durchaus auch dazu dienen sollten, die Gegend von einer nebenan geplanten Tangente der Stadtautobahn abzuschirmen.

Düttmanns Architektur steht für das, was in der alten Bundesrepublik einmal ein Aufbruch war: eine demokratische Gesinnung, eine großartige Materialästhetik, und der Verzicht auf unnötigen Pomp.

Das großartigste Zeugnis seines Schaffens ist in meinen Augen immer noch die Hansabücherei. Ich selbst war vor einem guten Jahr, kurz vor dem ersten Lockdown, für eine Woche in Berlin. Ich wohnte im Hansaviertel und verbrachte meine Nachmittage größtenteils in der Hansabücherei. Ein fantastischer Ort! Ich konnte es kaum glauben, wie schön es dort ist, was für einen großzügigen Geist dieser öffentliche Ort atmet. Und es ist wirklich so – ich kann es bezeugen: Dass man für Augenblicke vergisst, in diesem atmosphärisch etwas seltsamen Teil Westberlins zu sein. Diese Architektur ist gelebte modernistische Utopie, ungeheuer heiter und lässig.

Und wenn man die Augen ein bisschen zusammenkneift, dann sieht nicht nur Düttmanns zarte Leihbücherei ein bisschen so aus, als wolle sie lieber in Palm Springs stehen als am Berliner Tiergartenrand. Wenn man die Augen ein bisschen zusammenkneift, sieht vor allem auch Düttmann selbst oft ein bisschen aus wie William Cody, der dort in der Wüste Kaliforniens den Hollywood-Leuten ihre Bungalows um den Pool gebaut hat: Kaum ein Foto, das Düttmann nicht mit rauschhaftem Vergnügen bei der Arbeit oder bei Festlichkeiten zeigt, und zwar so, als wäre er ein assoziiertes Mitglied des Rat Pack um Frank Sinatra und Dean Martin: Während viele seiner Berufskollegen einen grundsatzschwarzrollkragigen Habitus des fortwährenden Wehleidens an Welt und Baukultur kultivierten, sah dieser Architekt auf Aufnahmen oft genug aus, als würde er gerade mit einem Whiskeyglas in der Hand eine Showtreppe heruntertanzen.
Moderne Architektur als gelebte Utopie: Werner Düttmann

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