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Beim Sex mitschreiben: Jonathan Gold ist der beste Gastrokritiker der USA

Daniel Erk
Stv. Redaktionsleiter Tagesspiegel Berliner, freier Journalist und Autor
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Daniel ErkDonnerstag, 13.07.2017

Gastrokritiker klingt erst einmal wie ein fabelhafter Beruf: Essen gehen und darüber schreiben, was könnte es Schöneres geben? Aber die Sache ist komplizierter.

Natürlich kann man eine Mahlzeit in Ingenieursbegriffen beschreiben, kann Textur, Gärungsgrad und die gewählten Gewürze auseinanderklamüsern – aber das ist ja tatsächlich ein bisschen, als würde man Sex erzählen wollen, indem man minutiös beschreibt, welches Körperteil zu welchem Zeitpunkt in welchem verschwindet und wie die Köpfe der Beteiligten dabei aussehen. Alles faktisch richtig und doch: Thema verfehlt.

Jonathan Gold ist anders, schreibt Susanne Kippenberger im Tagesspiegel:

Eigentlich wollte Gold Musiker werden, erst klassischer Cellist, dann Punkrocker. Stattdessen wurde er Musikredakteur beim alternativen „L. A. Weekly“ und fing irgendwann an, über Essen zu schreiben. Seitdem macht er das, was er so gut kann: „die Musik eines Mahls beobachten“. Er scheint es mit einer Art schläfriger Aufmerksamkeit zu tun. Notizen macht er sich keine dabei.
Aus Musik, Film, Literatur schöpft der Synästhetiker seine Bilder. Im Hauch einer Zitronenschale auf einem Stück Wolfsbarsch hört er den Akkord eines Schubert-Adagios. Für seine wilden Vergleiche ist er so berühmt wie für sein Faible für höllenscharfe Speisen. Seine Texte haben Musik. Und etwas Elegisch-Melancholisches.

Die Ode hat sich Gold so sehr verdient wie den Pulitzer Preis damals, 2006. Seine Kritiken, die en gros ausgezeichnet wurden (hier finden sich eine ganze Reihe davon) sind so klug wie lustig, so persönlich wie grundsätzlich:

Do I love The Lodge for its double-fisted Tanqueray martinis or for the thick-cut pepper bacon put out like peanuts at the bar? For the big chunks of blue cheese in the house chopped salad or for the onion rings as golden as the bangles on a Brahmin woman's arm?

Wer's nicht glaubt – einfach zweimal diese zwei Sätze laut lesen. Wer dann keinen Hunger hat, hat auch kein Herz.

Beim Sex mitschreiben: Jonathan Gold ist der beste Gastrokritiker der USA

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Kommentare 3
  1. Ralph Diermann
    Ralph Diermann · vor mehr als 7 Jahre

    Super Empfehlung, danke. Die Texte von Gold sind extrem gut. Warum gibt es diese Form der literarischen Gastrokritik eigentlich bei uns nicht? Die Redaktionen haben den Themen Essen und Trinken in den letzten Jahren zwar mehr Raum gegeben, ist mein Eindruck. Der wird dann aber vor allem genutzt, um Portraits von Züchtern seltener Gemüsesorten oder Reportagen über die Ökobilanz von Avocados zu drucken. Mit Genuß hat das häufig nicht viel zu tun. Die Gastrokritiken selber sind nach wie vor oft sehr brav, mit austauschbarer Struktur, standardisierten Metaphern und stets den gleichen Adjektiven. Wobei das, was Gold macht, natürlich schon echt große Kunst ist. So ein freestyle kann auch ganz schön in die Hose gehen.

    1. Ralph Diermann
      Ralph Diermann · vor mehr als 7 Jahre

      Halt, da fällt mir noch ein: Einen Gastrokritiker gibt es doch bei uns, der einen sehr eigenen Ton hat - Ada Blitzkrieg. Sie schreibt gelegentlich über Berliner Street Food für Vice. https://munchies.vice.... Wobei die letzte Kritik aber leider bereits Ende 2015 erschienen ist.

    2. Daniel Erk
      Daniel Erk · vor mehr als 7 Jahre

      @Ralph Diermann Ich würde spontan Jürgen Dollase in die Runde werfen, der auch noch eine ähnliche Vita wie Gold hat: erst Musiker, dann Gastrokritiker. Und er sieht Gold auch noch ähnlich. Dollase schreibt nicht ganz so zugänglich, nicht so lustvoll und mitreißend, aber immerhin nicht so elitär-verklemmt. Deutscher Essenjournalismus erinnert mich noch sehr an das Klischee aus dem Disney-Film "Ratatouille": betont gelangweilt, von oben herab und superkritisch.

      Ich suche mal was von Dollase raus und schreibe in den kommenden Tagen hier was dazu!

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