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Literatur

Deutschland, die Roman-Rechnung, bitte!

Deutschland, die Roman-Rechnung, bitte!

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelSonntag, 15.04.2018

Dann hatte er sich für zwei Wochen nach Berlin verabschiedet, um seine Situation zu hinterfragen – das Saturierte, das Determinierte –, um die Auseinandersetzung mit der Gegenwart als erotisches Erlebnis wahrzunehmen, um sich an den zeitgenössischen Ausstellungen zu reiben, dann aber auch die Rätselhaftigkeit auszuhalten, die Uneindeutigkeit – solche Aussagen hatte er seinen Partnern gegenüber tatsächlich von sich gegeben, wofür er sich jetzt sogar ein bisschen schämte.

Von Alexander Schimmelbusch, dessen neuen Roman "Hochdeutschland" (Tropen) es hier und heute zu preisen gilt, hatte ich zum ersten Mal gehört, als es ihm gelang, für die FAS den alten Raymond Carver-Lektor Gordon Lish in New York City zu interviewen. Dieses Gespräch habe ich als eines der besten über den Literaturbetrieb überhaupt in Erinnerung, es drehte sich um die psychische Verkommenheit des Hothouse New York, die Weinerlichkeit berühmter Autoren, die Härte von Lish selbst, die Weigerung seines Sohnes Atticus, irgendwelche Hilfe beim Veröffentlichen des eigenen Debüts ("Vorbereitungen auf das nächste Leben") von seinem Vater anzunehmen und die grobe Schätzung, wie viel Menschen weltweit wirklich gute Literatur überhaupt lesen (oder erkennen) können. Laut Lish optimistisch geschätzt gegenwärtig ungefähr 2.000. Selbstverständlich ist das Interview nirgendwo im Netz zu finden (ich hab es mir damals ausgeschnitten und für Freunde fotokopiert, sicherlich auch eine Kopie persönlich aufbewahrt, also on paper und damit inzwischen verschollen im Bermuda-Viereck meines Bücherregals).

Weiter weiß ich über den Autor nur, dass es einen Debütroman gibt und dann noch einen, in dem er sich ausdenkt, wie es gewesen wäre, wenn Thomas Bernhard seinen Tod nur inszeniert hätte, um in Ruhe fröhlich und schlechtgelaunt weiterzuleben ("Die Murau-Identität"). Und jetzt also "Hochdeutschland", auf das mich mein alter Richard Ford-Buddy und Tischtennis-Gegenspieler Brenner so nachdrücklich hinwies, dass ich es sofort bestellte und in mehr oder weniger einem durchlas. Es geht um den super erfolgreichen Investment Banker Victor, in dessen Brust das vom Reichtum gleichermaßen infizierte und angeekelte Herz eines Hoeullebecq-Protagonisten schlägt. Victor ist das Mergers&Acquisition(M&A)-Mastermind der Birken Bank, fährt die aufgemotzte Audi-Version eines Porsche, hat eine Glasvilla im Taunus-Wald mit Blick auf Main-City und treibt seine Mitarbeiter gewinnbringend in den Burn-Out - nicht weil er ein sadistisches Schwein ist, sondern weil sich das in diesem Job einfach so gehört.

Nebenbei und bald schon ins Zentrum des Romans rückend, zieht es Victor nach Berlin, um an seinem Projekt eines historischen Romans zu arbeiten (über ein im 2. Weltkrieg vor New York auftauchendes deutsches U-Boot und eine Prostituierte in Manhattan) und beim deutschen Finanz-Minister eine Energie-Beteiligung zu pitchen. Die Romanverhandlungen mit der Lektorin von Bertelsmann scheitern grandios (sie sieht den Loop, aber keinen Hook in Victors Bullshit-Plot), die Finanzverhandlungen mit dem Minister (der von einer Lobbyisten-Karriere als im Ferrari durch Mailand cruisende Außenstelle der Birken Bank träumt) gelingen problemlos.

Nach dem erfolgreichen Geschäftsabschluß kehrt Victor im Adlon ein, belohnt sich im Spa-Bereich mit einem Blowjob durch die Wellness-Masseuse Valezska und begreift anschließend bei einem opulenten Mahl in seiner Suite die grandiose wie ekelhafte Unverdientheit seines Erfolgs im speziellen sowie des Kapitalismus im allgemeinen, während er allein eine Peking-Ente für zwei und ein 2000-Euro-Rotwein zu sich nimmt. Denn tatsächlich kann man sich nichts von alldem (Gehalt, Blowjob, Peking-Ente) im Sinne einer überall gepredigten und gerade global an die Wand fahrenden Leistungsethik "verdienen". In die Elite der ersten Welt wird man entweder reingeboren – oder hat in andersgelagerten Fällen maximale Aufstiegschancen zum Ziegenhirten in Mombasa, Crackdealer in Brasilien oder IS-Märtyrer in Syrien.

Unter dem unmittelbaren Einfluss dieser Luxus-Erkenntnis verfasst Victor direkt nach der Adlon-Speisung ein politisches Manifest, das in bester Kyniker-Manier (Kyniker: das sind die guten Zyniker!) alle gängigen Populismus-Trends von Links bis Rechts abfischt. Propagiert wird eine neue Regierung, die "Deutschland AG":

Unser Name ist als Rückgriff auf eine Zeit zu verstehen, in der die Einkommen der deutschen Bundesbürger in einem nachvollziehbaren Verhältnis zueinander standen. Und bei aller Zukunftsfreude: Da wollen wir wieder hin, liebe Freundinnen und Freunde. Denn dieser erhabene Teamgeist ist als der romantische Kern unserer Erfolgsgeschichte zu verstehen.

Im Kern soll sie der Mittelschicht mit einem "Senator-Service" zugute kommen:

Denn wir sind Kinder der Mittelklasse, liebe Freundinnen und Freunde. Unsere Eltern haben uns zu fröhlicher Bescheidenheit erzogen. Wir haben es nicht nötig, uns einen Biturbo-Mercedes zu kaufen und damit an jeder grünen Ampel Vollgas zu geben. Unsere alten Väter hatten schließlich einen zuverlässigen, unauffälligen und perfekt verarbeiteten 230E als letzten Dienstwagen.

In den Ferien sind wir nach Mallorca gefahren, aber nicht in irgendwelche Designdomizile oder Fincaresidenzen, sondern in ordentliche Betonkästen an demokratischen Stränden, auf denen wir uns am Büdchen erst mal ein paar Albóndigas reingezogen haben. Unsere Eltern hatten nicht das Bedürfnis, mit einem gefönten Hündchen an der Champagnerbar einen Dicken zu schieben. Stattdessen liefen sie noch mal angeheitert zum Büffet, um sich zur Feier des Abends eine zweite Portion von der gefüllten Paprika zu genehmigen.

Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die keine drei Klassen mehr kennt, keine First und keine Economy, sondern nur noch Business, den Senator Service – die deutsche Mittelklasse, liebe Freundinnen und Freunde, der man, wenn man ein Mindestmaß an Selbstbewusstsein besitzt, auch noch mit einem Vermögen von 25 Millionen Euro angehören kann.

25 Millionen, das ist ist die revolutionäre Vermögens-Obergrenze, die Victor im Adlon für Deutschlands Reiche vorschwebt. Alles darüber wird einen Staatsfonds, der GERMAN INVESTMENT AUTHORITY (GINA) zugeführt, die Deutschland vor allem mit Bildungsausgaben wieder fit machen soll, um gegen die chinesischen und amerikanischen Elite-Absolventen mit einer eigenen "Nationalmannschaft“ voller Spitzentalente aus allen relevanten gesellschaftlich-industriellen Ressorts anzutreten.

Hierfür holt Victor seinen alten London-School-of-Economics-Kumpel Ali Osman, Spross eines Berliner Döner-Magnaten und Spitzenpolitiker der Grünen (dieser "deutschesten aller Parteien"), mit ins Boot. Gemeinsam wollen sie im Krisenherbst 2017 in einem "Unterwerfungs"-Szenario die Bundestagswahl gewinnen.

Wie und ob das aus- oder gutgeht, sei jeder Literatenfunkerin dringend empfohlen, selbst nachzulesen. Denn aus dem Herzen des Finanzcheckertums und der deutschen Hassliebe (o.s.ä.) auf Deutschland ist Schimmelbusch der politische Feelgood-Roman dieses Frühjahrs gelungen:

„… du pochst zu sehr auf Leistung, das macht den Menschen Angst, das macht sogar mir Angst, das scheint ein Fetisch bei dir zu sein…“

„Was soll das denn heißen? Es geht hier um Deutschland, Habibi. Nicht um irgendein in sich ruhendes Chillout-Land. Deutschland funktioniert nur, wenn alle die ganze Zeit arbeiten, sonst kommt der Deutsche auf dumme Gedanken – haste den schon mal im Urlaub gesehen? (...) Ich kann Deutschland nicht ausstehen, um ehrlich zu sein, mal abgesehen von meinem Wald hier oben.“

„Was soll das denn jetzt heißen?“

„Ich bin mit Deutschland einfach nie warm geworden“, sagte Victor. „Ich frag mich auch, wie das mit der Integration funktionieren soll, ich meine: Wen durchzuckt bitte die Sehnsucht, seine Deutschwerdung zu erleben? Womit soll man sich identifizieren? Kleinmut, Duckmäusertum, Renitenz, Besserwisserei, Pedanterie, Missgunst, Selbstgerechtigkeit, Geiz, Gehorsam, Größenwahn – das ist nicht gerade als attraktive Kombination zu bezeichnen. Um jetzt einmal nicht den Völkermord zu erwähnen. Was sollen das denn für Leute sein? Im Grunde sollte man die Zielsetzung, deutsch zu werden, als Hinweis auf eine fragwürdige charakterliche Prägung werten, die das Erteilen einer Aufenthaltsgenehmigung nicht als ratsam erscheinen lässt…“

PS: Während ich diesen piq an einem sonnigen Sonntagnachmittag schrieb, lief übrigens zeitgleich (wenn natürlich kein normaler Mensch vor dem Fernseher sitzt) im Kultursender arte ein Bericht über „Hochdeutschland“ in dem Magazin Metropolis.


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