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Literatur

Die Obstdiebin im Winter

Die Obstdiebin im Winter

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDienstag, 14.11.2017

Mein sogenannter Lese-Alltag wird im Wesentlichen von meinem Postboten kuratiert. Mittags klingelt es in der Gegensprechanlage.

„Ja?“

„Post!“

„Guten Morgen.“

„Isch hab zwei neue Pakete für dich.“

„Wieder Bücher?“

„Klar, Bücher.“

„Fuck. Okay, ich komm runter, damit du die Schinken nicht in den dritten Stock wuchten musst.“

„Super, danke.“

„Wart noch `n bisschen, ich mach nur schnell Kaffee fertig.“

Sekunden später begrüße ich unten im Hof mit zwei duftenden Bechern frischgemachten Kaffees den Postboten – einer meiner wichtigsten Außenkontakte zur Welt, mit dem ich mich gut verstehen muss, denn wenn er sauer auf mich ist (weil ich zum Beispiel nie Post für andere annehme, weil das hier eine Arbeitswohnung ist und ich nicht superneurasthenisch den ganzen Tag darauf warten kann, bis mich irgendein Nachbar aus dem Schreibfluss reißt, um seinen amazon-Scheiß bei mir abzuholen…), klingelt er gar nicht und gibt meine Bücher irgendwo anders ab, ohne mir einen Zettel in den Briefkasten zu stecken – und wir rauchen erstmal eine zusammen, während ich die Geschenke auspacke.

„Alta, zeig mal (liest bewusst beschissen vor) Die Ooobstdiiiebinn … Imm Winnterrr ...“

– „Ey Wahnsinn: du hast mir den neuen Handke zusammen mit dem neuen Knausgård geliefert, einsame Eins!“

Der Postbote fragt, ob Handke der mit dem Jahr in der Niemandsbucht sei und von Knausgård hätte er auch schon gehört, das Hitler-Projekt, oder?

„Ja klar, erst neulich gab es doch in der SZ diese großen Buchmessenbeilagen. Mit dem schönen Handke-Portrait von Thomas Steinfeld. Wo Handke behauptet, der berühmteste Deutsche in Frankreich wäre Toni Schumacher …“

– „Immer noch wegen dem Foul an Battiston?“

„Genau. Und dann hat sich Handke auch noch über Knausgård geäußert. Weil der ihn ja in Norwegen verlegt und ein Riesen-Fan von ihm ist. Aber das täte Handke leid, weil, den Knausgård könne er einfach nicht lesen. Weil Knausgård in jedem Moment ein ernsthafter Autor sein möchte, auch wenn er nur ein Bier trinkt...“

„Verstehe. Und Handke ist kein ernsthafter Autor?“

„Natürlich nicht, wir haben ihn früher an der Uni immer Porno-Peter genannt.“

„Du warst mal an der Uni?“

„Ja, aber nur kurz.“

„Lass mal den Klappentext sehen.“

Der Postbote öffnet beide Bücher fachmännisch, guckt bei Handke auf der U2 nach, bei Knausgård auf der U3. Ihn interessieren vor allem Kurzbiographien. Für eigene Bewerbungsschreiben und weil er wissen will, was das für Typen sind, die Schreiber. Als abschreckendes Beispiel hat er immer noch die Lebensläufe zahlreicher Jungautoren vom Open Mike letzte Woche im Hinterkopf („… geboren 1993 in München, studiert Literarisches Schreiben in Leipzig und mittlerweile auch Religionswissenschaft. Schreibt Lyrik, Prosa und Essayistisches. Preistäger beim Treffen Junger Autoren, Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Lukas, Leonhard und Ida-Wolf-Gedächtnispreis, MDR-Literaturpreis. Teilnehmer bei der Schreibwerkstatt der Jürgen Ponto Stiftung. Gewinn des Caroline-Schlegel-Förderpreis. Mitherausgabe der Lyrikanthologie „Ansicht der leuchtend Wurzeln von unten“, die im poetenladen Verlag erschienen ist. Veröffentlichungen unter anderem in BELLA triste, Jahrbuch der Lyrik, taz am Wochenende, Tippgemeinschaft…“). Der Postbote meint, da ist ihm immer noch ganz schwindelig von, dass er so ein irrelevantes Förder-Abgewichse lesen musste, auf der Homepage vom Open Mike, weil er da nur zufällig raufgekommen ist, beim Surfen auf perlentaucher, weil ihm langweilig war. Dann hellt sich sein Gesicht wieder auf:

„Aber hier – der Hammer: so geht Autoren-Kurzbio:

Peter Handke, geboren 1942 in Griffen, lebt heute in Chaville bei Paris.

Bämm, fertig, alles drin!“

„Paris hätte er vielleicht noch weglassen können.“

„Stimmt. Nur Chaville. Griffen weiß ja auch kein Mensch, wo das ist. (Guckt auf die Uhr, gibt mir die Bücher zurück) Scheisse, ich muss langsam weiter. Höchstens eine schnelle American Spirits geht vielleicht noch. Kannst du mir nicht kurz was vorlesen, damit ich `n bisschen Hörkino für die Weiterfahrt im Kopf hab und nicht wieder Radio Arschloch hören muss?“

„Okay. Hier, Zigarette. Und Handke … (blättere ein bisschen im Buch rum) ah, das ist gut - der Held wird gleich zum Anfang von einer Biene gestochen und erinnert sich:

Doch an dem Stich-Tag damals, da die Geschichte von der Obstdiebin Gestalt annahm, ging die Biene, die mich Barfüßigen stach, daran nicht zugrunde. Obwohl es sich um eine erbsenkleine handelte, pelzig, wollig, in den altbekannten Bienenfarben und -streifen, verlor sie im Stechen keinerlei Stachel und entschwirrte nach dem Stich, einem Bienenstich wie nur je einem – jäh wie heftig –, in einem Schwung, so als sei nicht bloß nichts gewesen, sondern sie sei darüber hinaus kraft ihrer Aktion auch noch zu zusätzlichen Kräften gekommen…

– „Stichtag und altbekannte Bienenfarben find ich schon mal super“, sagt der Postbote begeistert.

„Absolut, dem funkt halt kein Lektor mehr dazwischen!“

Yeah wie heftig!“

Wir beruhigen uns wieder.

„Okay, und jetzt noch kurz Im Winter…“

„Ja, warte schnell… Oh Mann. Briefe an meine ungeborene Tochter… Da hat sich ja sogar schon der SPIEGEL drüber lustig gemacht.“

„Ja, hab ich auch kurz bei REWE reingelesen: Knausgård der neue Coelho…“

„Volli Weidermann wieder mal, superbillig. Scheint aber leider recht zu haben, wenn ich mir die kurzen Kapitelüberschriften hier angucke. Sexualität. Zahnbürsten. Stiefeletten …“

„Dem funkt eben auch kein Lektor mehr dazwischen. Aber Stiefeletten klingt doch super…“

(Eifrig) "Ich hab den ja mal interviewt, der war supernett und so, aber der große Volltreffer war ja wohl überhaupt, als ich ihn tatsächlich eiskalt nach seinen Stiefeletten gefragt hab – und er wie aus der Pistole geschossen Fiorentini & Baker ant-“

„Alta, die Story hast du mir schon zehn Mal erzählt. Neulich erst, als ich dir Im Herbst gebracht habe.“

„Echt? Sorry, ganz vergessen. Mann, die hauen die Bücher von dem aber auch gerade raus, als gäbe es kein Morgen. (lese vor)

Was die Stiefeletten betrifft, so entsinne ich mich bezeichnenderweise noch haargenau an ein Paar, das ich nicht bekam. Es waren sogenannte „Samenstiefeletten“, sie waren hoch, enganliegend am Bein, aus hellem Leder und am oberen Rand gewellt…

– „Die Erklärung kann er sich schenken. Samenstiefeletten wird das ekligste Wort sein, das ich heute gehört habe…“

„… (still im Weiterlesen) Ja, aber er meint natürlich den Volksstamm, die Samischen.“

„Okay, das ist was anderes.“

Bevor der Postbote weitermuss, empfehle ich ihm von Knausgård lieber noch das Fußballbuch „Home & Away“, einen eMail-Roman mit Frederik Ekelund, kommt im nächsten Frühjahr auf Deutsch raus. Aber das wird dem Postboten jetzt zu viel, da soll ich ihn noch mal in Ruhe drauf ansprechen, wenn er mir das dann ausliefert. Zum Abschied bedankt er sich für Kaffee, Zigarette, Text und fragt mich, ob ich nicht doch was von Zalando für die Nachbarn entgegennehmen könnte.

„Auf keinen Fall, du Samenstiefelette.“

„Wusst ich, du Open Mike!“

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Kommentare 1
  1. Leopold Ploner
    Leopold Ploner · vor 7 Jahren

    Yessss, so muss eine Buchvorstellung sein.

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