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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
Der Mann, der das Sachbuch neu erfand, klingt auf Deutsch natürlich gleich wieder nur halb so geil.
Ausnahmsweise konnte man auf den französischen Autor Emmanuel Carrère – anders als in den vergleichbaren Fällen Bolaño, Knausgård, Cusk und Ferrante – mal nicht über den literarischen Durchlauferhitzer New York aufmerksam werden, sondern durch ein tolles Spezialheft der Zeitschrift „Merkur“ zur Lage des Romans. Ebendort stellte Ekkehard Knörer im Herbst 2014 Carrère (der auch Filmemacher und in Frankreich die Sorte Celebrity ist, die in der Jury von Cannes sitzt) einer schmaleren deutschen Öffentlichkeit unter der Überschrift „Die erste Person: Emmanuel Carrères Romane vom Ich“ vor.
Damals war gerade die Tsunami-Erzählung „Alles ist wahr“ (Matthes & Seitz) erschienen, die natürlich keine Tsunami-Erzählung ist, sondern nur mit der auf einer Thailand-Reise erlebten Tsunami-Katastrophe ihren Anfang nimmt, um dann von der Krankheit der Schwester jener Frau zu handeln, von der man sich gerade noch in Thailand trennen wollte und genaugenommen ist das Ganze noch nicht mal eine Erzählung, sondern das, was im französischen récit heißt — eine Art „nacherzählender Bericht“. Knörer beschrieb Carrère in seinem Text als eine Art besseren Knausgård, nicht ohne dem programmatischen deutschen Buchtitel „Alles ist wahr“ ein schlagendes Nabokov-Motto entgegenzuhalten: „Wer eine Geschichte >wahr< nennt, beleidigt Kunst und Wahrheit zugleich.“
Neben sehr philosophischen Fragen zum Thema Fiktion vs. Non-Fiktion (der autobiographische Pakt zwischen Leserin und Autor könne immer nur entweder Naivität, Spiel oder Lüge sein) ist der eigentliche Wachmacher dann allerdings bereits hier der Verweis auf Carrères „Russischen Roman“, der jetzt endlich mit zehnjähriger Verspätung auf Deutsch erschienen ist (bei Matthes & Seitz).
„Ein russischer Roman“ erzählt parallel ineinander übergreifend drei „Geschichten“, die alle um ein Ich kreisen, das mindestens mehr reinhaut, als es jedes Roman-Ich je könnte – und dem man folglich auch mehr zu verzeihen bereit ist, weil es jederzeit alles riskiert.
Im ersten Handlungsstrang reist Carrère mit einem Filmteam immer wieder ins russische Provinznest Kotelnitsch, um dort an einem schwer arte-haften Dokumentarfilm über das Schicksal eines ungarischen Kriegsgefangenen zu scheitern, der nach 1945 einfach in der Psychiatrie vergessen wurde und ein halbes Jahrhundert stumm vor sich hin vegetierte, bis er in die Heimat zurückgebracht wurde.
Im zweiten geht es um die Beziehung, die Carrère während dieser Zeit mit Sophie an die Wand fährt, gewissermaßen mit Ansage: Sie ist eine blonde Schönheit aus dem Milieu der Verlagssekretärinnen, er verkehrt gesellschaftlich eher auf dem Level der Verlagschefs, findet sie aber trotzdem (oder gerade weil) so scharf, dass sogar Gemüseeinkaufen im Supermarkt zum Porno wird. Sie bittet ihn um eine erotische Kurzgeschichte, er veröffentlicht sie ihr in einem monströs scheiternden Akt performativer Literatur als Sommergeschichte (und Masturbationsanleitung für eine Zugfahrt) in Le Monde.
Der dritte Strang handelt von Carrères Beziehung zu seiner Mutter, der berühmten Académie Française-Generalsekretärin Hélène Carrère d’Encausse, die ihrem Sohn ein Schreibverbot über dessen georgischen Großvater erteilt, der als hochbegabte Dostojewski-Figur im Frankreich der Besatzungszeit gnadenlos unter die Räder kam und spurlos verschwand.
Von diesem mütterlichen Tabu über den Großvater (in dessen Wahnsinn sich der Enkel selbst wiederfindet) ebenso wie von seinem zweifelhaften Edelficker-Selbstbewusstsein in der Liebe zu Sophie versucht Carrère, das Ich, sich in Russland zu befreien.
Ob es sich dabei tatsächlich um einen „Roman“ handelt, sei dahingestellt. Im amerikanischen heißt das Buch clever „My life as a Russian Novel“ (die deutsche Übersetzung von Claudia Hamm trifft, von ein paar Bräsigkeiten – „nicht doch!“ – abgesehen, den kunstvoll kunstlosen Ton des Franzosen ansonsten aber so gut, dass man – selbst des Französischen ohnmächtig – keine Sekunde zweifelt, dass hier Carrère zu uns spricht) und ist auch bald herzlich egal, denn sicher ist nur, dass man dieses Leben gebannt, mitleidend und schwer angeschlagen bis zum bitteren Ende mitliest. Das beste Buch dieses Frühjahrs (jedenfalls knapp vor Rachel Cusks „Transit“ und bis nächste Woche – wir berichten – „Kämpfen“ erscheint)!
Und das Tröstliche, wenn man mit dem Bücherlesen fertig ist (absolute Must-Reads auch noch: „Limonow“ und „Das Reich Gottes“), sind die vielen genauso guten Artikel über Carrère, denen man sich anschließend widmen kann (siehe Knörer oben!). Es scheint sich längst ein eigenes Genre entwickelt zu haben, in denen die Buchreporter nach Paris pilgern, um an Carrères ebenso gastfreundlicher wie enigmatischer Transparenz zu scheitern. Daniel Haas ließ sich für die ZEIT beinah ein Buch signieren, Dick Kämmerlings staunte in der WELT über die offen zur Schau getragene Depression, mit der der Starautor gerade auf sein nächstes Thema wartet.
Am schönsten schrieb aber – um endlich zum Link überzuleiten – Wyatt Mason über seinen Besuch bei Emmanuel Carrére. Diskret wie ein wilder Literaturdetektiv bei Bolaño rückt er dem Franzosen auf den Leib. Lieblingsstelle:
Carrère nimmt ihn auf dem Motorroller mit ins Louvre und fährt wegen des New York Times-Reporters auf dem Rücksitz so vorsichtig, dass er dauernd bremst und die Helme der beiden gegeneinander klonken, weil Mason seinem Schreibgegenstand nicht so nah auf die Pelle rücken will, dass er sich von hinten an ihm festhalten wollen würde. Und dabei aber sicher ist, dass so ein Sich-von-hinten-Festhalten-auf-dem-Motorroller mit Carrère völlig okay wäre.
Quelle: Wyatt Mason Bild: Gueorgui Pinkhass... EN nytimes.com
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