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Medien und Gesellschaft

Betrugsfall im Hause SPIEGEL: Einfach alles ausgedacht

Alexander Sängerlaub
Publizist, Journalist, Utopist

Programmleiter Zukunft des Journalismus am Bonn Institute & Direktor futur eins

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Alexander SängerlaubMittwoch, 19.12.2018

Die Geschichten, die Claas Relotius erzählt, wirken unglaublich. So unglaublich, so echt, so nah dran, so journalistisch genial, dass er dafür zahlreiche Preise und Auszeichnungen erlangte. "Reporter des Jahres" war er gar vier Mal, zahlreiche andere Preise hat er ebenfalls eingeheimst. Die Geschichten sind so gut erzählt, so dicht, so dramaturgisch perfekt, dass sie fast zu gut sind, um wahr zu sein.

Nun geht der SPIEGEL heute an die Öffentlichkeit mit der erschreckenden Erkenntnis über seinen Vorzeigejournalisten Claas Relotius: Ein Großteil der Geschichten ist tatsächlich zu gut, als dass sie wahr sind. Sie sind ausgedacht. Fakten wurden verdreht, O-Töne imaginiert, Musik dazugezaubert, Menschen kreiert, die es gar nicht gibt. Und das beim Spiegel. "Sagen, was ist", prangt auf überdimensional großen Lettern im beeindruckenden Foyer der Ericusspitze in Hamburg. Es ist das Credo, das Gründer Rudolf Augstein einst seinem Blatt gab und es steht genau dafür: Geschichten zu erzählen, die wahr sind.

Ullrich Fichtner rekonstruiert in seinem Text die Vorfälle. Viele große Texte von Relotius waren darunter, Texte die auch dem Leser in Erinnerung bleiben. Von den syrischen Kindern, die in der Türkei als Kinderarbeiter enden, von der Frau, die durch die USA reist, um als Zeugin an Hinrichtungen teilzunehmen, von dem Football-Star Colin Kaepernick, der nicht vor einem Präsidenten Trump Knien wollte.

Der Text liest sich wie ein Krimi über einen Krimi.

Welche Auswirkungen und Folgen wird das für dieses alte, ehrwürdige, stolze Nachrichtenmagazin haben? Schwer abzusehen. Unweigerlich wird man an die Hitler-Tagebücher des Stern erinnert. Was man dem SPIEGEL lassen muss, er geht mit dem Vorfall offensiv um. DER SPIEGEL sucht die Öffentlichkeit, er deckt den Fall Relotious von sich aus auf. Auch das bedeutet "Sagen, was ist."

Betrugsfall im Hause SPIEGEL: Einfach alles ausgedacht

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Kommentare 24
  1. Fabian Peltsch
    Fabian Peltsch · vor fast 6 Jahre

    Ich finde diese Flucht nach vorne irritierend, vor allem da die Aufarbeitung von Fichtner selbst so stilisiert ist und in dieser dramatisch chronologischen Erzählweise nicht die Aufrichtigkeit ausstrahlt, die bei so einem Fall angemessen wäre. Stattdessen bekommt man einen typischen "Helden", plus "Entschuldigung" und "Läuterung", und alles verpackt in diesen atemlos rhythmisierten Stil, der das alles wiederum zu einer typischen Spiegel-Geschichte macht. Und diesem Stil und den damit verbundenen Idealen und Erwartungen zu entsprechen, hat den jungen Journalisten ja offenbar gerade erst so unter Druck gesetzt.

    1. Jan Paersch
      Jan Paersch · vor fast 6 Jahre

      Sehe ich ähnlich. Ich glaube, dass die beim Spiegel noch nicht wirklich gemerkt haben, wieviel Glaubwürdigkeit sie hier verspielt haben. Für mich sind das die Hitler-Tagebücher des 21. Jahrhunderts. Klar, es gab Tom Kummer, aber der hat schließlich nur Hollywood-Stars interviewt, keine Reportagen von gesellschaftspolitischer Bedeutung geschrieben.

    2. Marcus Ertle
      Marcus Ertle · vor fast 6 Jahre

      das stimmt

    3. Alexander Sängerlaub
      Alexander Sängerlaub · vor fast 6 Jahre

      Übermedien geht dem gleichen Gedanken nach und fragt sich, ob nicht genau dieses Geschichtenerzählen den Nährboden für solche Trügereien zum Teil auch legt. Für viele ist dieses "magazinige" befremdlich, für andere ist es genau der Grund, warum sie den Spiegel so gerne lesen. Es ist vertrackt. Mit seiner hauseigenen Kultur muss das Magazin aber auf jeden Fall ins Gericht gehen, anders geht es nicht.

      Link zu Niggemeiers Übermedien-Text (leider mit Paywall):
      https://uebermedien.de...

    4. Fabian Peltsch
      Fabian Peltsch · vor fast 6 Jahre

      @Alexander Sängerlaub Möglicherweise hat der Satz "Wo ist die Geschichte?", den man beim Pitchen von Themen in Redaktionen gerne hört, doch dazu geführt, dass einige journalistische Kerngedanken mit den Jahren etwas aus dem Fokus geraten sind.

    5. Frederik Fischer
      Frederik Fischer · vor fast 6 Jahre

      Danke, wollte ich auch gerade anmerken. Ich wundere mich sehr, dass der Spiegel für diese Art von öffentlicher Abrechnung nicht stärkeren Gegenwind erhält. Klar ist es vorbildlich, dass das Blatt proaktiv an die Öffentlichkeit geht, aber der Text ist so voll Pathos und Selbstgerechtigkeit, dass er in meinen Augen das Problem vergrößert und dazu den Leserinnen und Lesern gegenüber unehrlich ist. Es wird der Eindruck vermittelt, als würde es sich hier um einen extremen Einzelfall handeln. Das stimmt einerseits angesichts des Ausmaßes und der Dreistigkeit. Würde allerdings jede/r Spiegel-Journalist die Hand heben der/die für Thesenstücke schon einmal Situation überspitzt, Ö-Töne aus dem Kontext gerissen und komplexe Sachverhalte in die vorher ausgedachte Schablone geklöppelt hat, würde eine La-Ola-Welle durch die Redaktion gehen. In anderen Redaktionen sieht es natürlich nicht groß anders aus. Wer die Schuld bei einzelnen Journalisten zu suchen, macht es sich zu einfach. Der Fall zeigt strukturelle Probleme auf.

  2. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor fast 6 Jahre

    11 seiner Geschichten wurden auch auf piqd empfohlen.

    1. Alexander Sängerlaub
      Alexander Sängerlaub · vor fast 6 Jahre

      Die Texte waren auch genial. Jede, die man von ihm gelesen hat, bleibt auch in Erinnerung. Hollywood hat sich wahrscheinlich direkt die Rechte gesichert.

    2. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor fast 6 Jahre

      @Alexander Sängerlaub schade, dass der Mann nicht einfach Drehbücher geschrieben hat...aber kann er ja jetzt machen...freue mich auf seinen Auftritt bei Lanz jedenfalls...

    3. Alexander Sängerlaub
      Alexander Sängerlaub · vor fast 6 Jahre · bearbeitet vor mehr als 5 Jahre

      @Marcus von Jordan 😂 Das Lanz-Einzelinterview ist ihm Gewiss.

    4. Monika Kienle
      Monika Kienle · vor fast 6 Jahre

      @Marcus von Jordan Wir erwarten ihn also bei Lanz. Da bekommt er nochmals eine Bühne.
      Ist das eigentlich kriminell was er gemacht hat? Und wer sind dann die Opfer? In einer Zeit, in der seriöse Medien sowieso unter Verdacht stehen, ist das eine Katastrophe. Wird Lanz in seinem Zirkus das darstellen können?

    5. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor fast 6 Jahre

      @Monika Kienle das war nicht ernst gemeint...ich glaube nicht, dass er da auftaucht, aber wünschen würde ich es mir, weil das Gespräch mit ihm garantiert sehr interessant wäre.
      Kriminell ist es auf jeden Fall, ich nehme schon an, dass der SPIEGEL ihn verklagen wird...vermutlich aber eher im Stillen.
      Was genau die Katastrophe ist, gilt es zu diskutieren würde ich sagen. Es hat wirklich nicht nur der SPIEGEL versagt, sondern massenhaft Publizistinnen, Jurorinnen und Leserinnen. Irgendwie wollten wir auch beschissen werden oder? Jedenfalls habe ich mir heute schon gedacht, dass ich eben Reportagen ganz oft total "unglaublich!" fand, ohne sie in Zweifel zu ziehen. Und wie hat sich der Anspruch verändert? Wie dringt eine Story noch durch durch das durchpolarisierte, permaempörte und supergeile Dauerfeuer? Vielleicht ist eher da die Katastrophe zu suchen, als jetzt im Einzelnen bei Relotius...?

    6. Alexander Sängerlaub
      Alexander Sängerlaub · vor fast 6 Jahre

      @Marcus von Jordan Ich hoffe auch, dass das eine ganz generelle Debatte im Journalismus auslöst. Über Aufmerksamkeitsökonomie und Empörungskultur, über den großen ökonomischen Druck auf den Redaktionen, auf die Sensationsgeilheit auf beiden Seiten, auf die Frage, was heute guten Journalismus noch ausmacht. Die Frage ist ja auch, ob das nicht hier auch eine Spitze des Eisberges markiert. Nehmen wir nur die BILD-Zeitung, und was die sich alles ausdenkt, wenn der Tag lang ist (Miogate, etc.). Die Debatte darüber, was Qualität im Journalismus im Zeitalter digitaler Disruption und fehlender Geschäftsmodelle bedeutet und was wir als Gesellschaft, Medienmacher, Politiker, Journalisten, etc. tun können – ist mehr als notwendig.

    7. Monika Kienle
      Monika Kienle · vor fast 6 Jahre

      @Marcus von Jordan Ja, der Leser (heutzutage Kunde) trägt seines dazu bei. Wir brauchen herausragende Bilder, Schlagzeilen, den Täter mit seiner Geschichte, in dem Moment, in dem er zuschlägt.
      Vielleicht brauchen wir alle Medienunterricht.

    8. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor fast 6 Jahre

      @Monika Kienle mehr piqd und weniger facebook brauchen wir :)

    9. Monika Kienle
      Monika Kienle · vor fast 6 Jahre

      @Marcus von Jordan Ich bin piqd und seinen piquern soooo dankbar

    10. Fabian Goldmann
      Fabian Goldmann · vor fast 6 Jahre

      @Marcus von Jordan zeigt der Fall nicht gerade, dass piqd uns auch nicht vor FakeNews schützt?

    11. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor fast 6 Jahre

      @Fabian Goldmann das zeigt es schon, habe ich ja oben geschrieben. Mir ging es um ein furchtbar aufgeregtes, mediales Umfeld, dass vielleicht diese Geschichte mitgeschrieben hat und das hier hoffentlich weniger vorhanden ist, als zB bei facebook.

    12. Fabian Goldmann
      Fabian Goldmann · vor fast 6 Jahre

      @Marcus von Jordan Bestimmt. Aber in diesem Fall hat eben nicht nur irgendein umbestimmtes "furchtbar aufgeregtes Umfeld" auf Facebook mitgeschrieben, sondern ganz konkret wir. Anstatt die Geschichte so zu drehen, dass wieder nur die anderen Schuld sind, fände ich es fair, wenn du die piqd-Leser informierst, dass wir ihnen in möglicherweise elf Fällen Fake News empfohlen haben.

    13. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor fast 6 Jahre

      @Fabian Goldmann sag mal du Komiker - magst du vielleicht den obersten Kommentar von diesem thread mal lesen? :D

    14. Fabian Goldmann
      Fabian Goldmann · vor fast 6 Jahre

      @Marcus von Jordan Super Kommentar (hatte ihn sogar geliket) aber wenn das alles sein soll, fühle ich mich als piq-Leser etwas veralbert. Wie wäre es mit einem In-Eigener-Sache-Piq und einem Hinweis in jedem der elf Piqs, dass hinter dem jeweiligen Link mutmaßlich doch nicht der versprochene Qualitätsjournalismus steckt?

    15. Marcus Ertle
      Marcus Ertle · vor fast 6 Jahre

      @Alexander Sängerlaub ich fürchte seine Zukunft sieht nicht so rosig aus.

    16. Marcus Ertle
      Marcus Ertle · vor fast 6 Jahre

      oh ja..

  3. Magdalena Taube
    Magdalena Taube · vor fast 6 Jahre

    Hehe, super, du warst zwei Sekunden schneller :)
    Aber natürlich mit einem ganz anderen Blickwinkel als ich, wie es sich für Piqd gehört! https://www.piqd.de/me...

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