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Michael Seemann hat seine Überlegungen zum digitalen Kapitalismus, die er vor ein paar Monaten beim Zündfunk-Kongress vorgestellt hat, jetzt in einem längeren Text dargelegt. Anlass für ein kleines Peer-Review auf diesem Kanal, wo wir es uns gelegentlich auch erlauben, Texte unserer OWNW-Kolleg*innen zu empfehlen.
Michael fragt, ob sich der Kapitalismus gegenwärtig in seiner Gestalt in einer Weise verändert, die infrage stellen lässt, ob es sich überhaupt noch um Kapitalismus handelt. Seine Methode: Er nimmt fünf Definitionsmerkmale von Kapitalismus zum Ausgangspunkt (Privateigentum an den Produktionsmitteln, Ausbeutung von Arbeit/Mehrwert, Steuerung durch den Markt, Eigentumsordnung, Akkumulation/Wachstum) und diskutiert dann, ob diese Kriterien gegenwärtig noch erfüllt werden. Er kommt zu dem Schluss, dass die Definitionsmerkmale Schritt für Schritt ad absurdum geführt werden.
Der Gedankengang ist nachvollziehbar. Allerdings fragt man sich, ob nicht die Entwicklungen im Einzelnen zwar zeigen, dass Kapitalismus gar nicht immer so funktioniert, wie behauptet, im Big Picture jedoch trotzdem funktioniert, nicht zuletzt, weil die Profitmaximierung stabil bleibt.
Kapitalismus ist immer eingebettet in politisch erzeugte gesellschaftliche Ordnungen, die auch andere wirtschaftsweisen beinhalten. Denken wir an die geschlechterpolitische Regulation von Care-Arbeit, die überwiegend nicht marktförmig organisiert ist.
In theoretischer Hinsicht sollte die Schule der Regulationstheorie hier einiges zum digitalen Kapitalismus zu sagen haben. Sie beschäftigt sich seit den 1970er Jahren damit, wie sich Akkumulations- und Regulationsmodi immer wieder anpassen müssen, weil der Kapitalismus an sich ja gerade keine stabile Ordnung ist, sondern eine, die immanent Krisen (und damit verbunden auch Fragen der Legitimation) erzeugt.
Die „Neuheit der Situation“, die Michael am Ende beschreibt, ist also eine Frage der politischen Ökonomie, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen wird.
Quelle: mspro ctrl-verlust.net
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Sehr gute Analyse und herrlich logisch textuell aufgebaut.mir fehlt ein wenig der Aspekt Steuern und Klimaschutz (Nachhaltigkeit) - aber diese lassen sich prima und sinnvoll andocken an diesen Text. prima!