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Kopf und Körper

Leiden wegmachen

Silke Jäger
Freie Medizinjournalistin

Ich lebe in Marburg und schreibe über Gesundheit und Gesundheitspolitik.

Zum Kurator'innen-Profil
Silke JägerDonnerstag, 17.03.2022

Zugegeben, diese Empfehlung in diesem Kanal ist etwas ungewöhnlich. In erster Linie geht Jagoda Marinić hier nämlich mit unserer Debattenkultur hart ins Gericht:

In Deutschland lieben wir den diskursiven Nebel. Vier Talkshows bieten uns die Öffentlich-Rechtlichen regelmäßig, alle haben fast zwei Jahre lang ausschließlich die pandemische Lage beackert. Natürlich kann man sagen, das lag an der historischen Herausforderung, es lag aber auch daran, dass es der deutschen politischen Diskurskultur entspricht, das Klein-Klein aufzublasen, so zu tun, als verstehe man in den Redaktionen den armen Michel oder die Luise in Bottrop; ich weiß nicht, wie man diese Kunstfiguren des mittelmäßigen Verstehens im Journalismus sonst noch nennt.

Diese Vorstellung, dass die Bürgerinnen und Bürger im Durchschnitt eben nicht in der Lage wären, strukturelle Fragen in den Blick zu nehmen, Verbindungen zu ziehen und so nach Schaltstellen zu suchen, an denen man Größeres bewegen könnte. Dieses beharrliche Unterschätzen der demokratischen Öffentlichkeit, tausend Nostalgiesendungen wurden in den letzten zwei Jahren produziert, man will uns ja Ablenkung schenken, daher auch die Behauptung: Der erneute Angriff auf die Ukraine kam „plötzlich“ und „unerwartet“.

Und da ich ihr hier so sehr zustimme, dass ich aus dem Jasagen und Nicken kaum herauskomme, wollte ich die Gelegenheit nutzen, sie damit einmal in meinem Hauskanal zitieren zu dürfen – obwohl mir klar ist, dass eine gute Debattenkultur und eine gute Gesundheit nur indirekt und über 5 Ecken miteinander verbunden sein dürften. Verzeihung.

Ganz am Ende des Textes steht aber etwas über einen Aspekt, der mir sehr entscheidend für eine gute Gesundheit zu sein scheint: unser Umgang mit Leid.

Doch die Art, wie wir unsere Gefühle über einen Krieg, den andere führen müssen, in den Mittelpunkt unseres Redens stellen, macht mich stellenweise fassungslos. Kaum rede ich fünf Minuten mit Leuten über die Ukraine, sagt jeder Zweite zu mir: „Aber wir müssen auch sehen, dass es uns gut geht.“ Muss man sich bei allem fragen, ob es einem dabei gut geht? Geht es uns denn „schlecht“, wenn wir uns anfassen lassen von einem Krieg und seinen unschuldigen Opfern, oder geht es uns eigentlich angemessen?

Wenn wir uns von dem Krieg und den furchtbaren Bildern anfassen lassen, sind wir dann selbst irgendwie krank oder bemitleidenswert? Brauchen wir dann Hilfe? Oder Ablenkung?

Jagoda Marinić sagt:

Das Problem ist nicht, dass wir zu weich sind, sondern dass auch eine solidarische Öffentlichkeit fehlt, die gemeinsam leidet und den Verantwortlichen deutlich macht, dass man diese Inhumanität nicht dulden will.

Mit diesen Worten schließt sich für mich ein Kreis. Schon immer kam mir bei Debatten darüber, wie sich Gesundheit erhalten oder verbessern lässt, eine Frage zu kurz: Welche Rolle spielt im Heilungsprozess die Gewissheit, den Mist, den die Welt zu bieten hat, nicht allein aushalten zu müssen?

Vielleicht hat eine gute Debattenkultur doch mehr mit Gesundheit zu tun, als ich bis eben dachte. Da fallen mir nämlich all die Menschen ein, die sich von der Gesellschaft entkoppelt fühlen, weil sie sich beruflich mit dem Leiden und Sterben von Menschen auseinandersetzen. Ihnen fehlt allzu oft die Rückenstärkung durch eine Gesellschaft, die möglichst wenig für Krankenversorgung und Pflege ausgeben will. Dabei ist belegt, dass eine gute Gesundheitsversorgung der wichtigste Faktor dafür ist, möglichst lange gesund zu bleiben.

Leiden wegmachen

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Kommentare 3
  1. Theresa Bäuerlein
    Theresa Bäuerlein · vor fast 3 Jahre

    Ich komme auch aus dem Nicken kaum raus! "...dass eine gute Debattenkultur und eine gute Gesundheit nur indirekt und über 5 Ecken miteinander verbunden sein dürften." Ich weiß nicht, ob es wirklich fünf Ecken sind. Ich habe Freunde, die in der Pandemie Verschwörungserzählungen verfallen sind. Sie sind nun Impfgegner:innen. Ich glaube, eine gute Debattenkultur hätte sie vielleicht davor bewahren können.

    1. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor fast 3 Jahre

      Ja, vielleicht. Wenn sich die Debatten auf das Wesentliche konzentriert hätten: Was schadet und nutzt mehr – Infektion oder Impfung?

  2. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor fast 3 Jahre

    ...würde gerne 2-3 Tage reden über diesen Text...

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