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Kurator'in für: Medien und Gesellschaft Kopf und Körper Flucht und Einwanderung Fundstücke Feminismen
piqd für euch die Perlen unter den Radio Features. (Bis Ende 2017 für Deutschlandfunk Kultur, inzwischen unabhängig und senderübergreifend).
Lebt und arbeitet als freie Autorin, Regisseurin und Produzentin mit Schwerpunkt künstlerisches Feature in Berlin. Hat alles mögliche an Geisteswissenschaften studiert und ist Absolventin der EBU Master School on Radio Features. Sie veröffentlichte außerdem ein erfolgloses Hip Hop Album, arbeitete sich durch bislang sieben musikalische Stilübungen von Reggae bis Death Metal, und hat trotz aller Widrigkeiten zwei wunderbare Kinder in die Welt gesetzt.
Über solche Perlen der Radiokunst freut sich mein Feature-Herz: "Der jüngste Prozess" lautet das NDR-Feature, das eigentlich eine fiktive Rahmenhandlung hat, aber in dessen Zuge spannende O-Töne zu hören sind, die mit der fiktiven Ebene verwoben werden. Es sind Stimmen zu hören, die sich Gedanken um unser gesamtes gewachsenes Rechtssystem und die Gründe und Entwicklungsprozesse dahinter machen und die kritisch hinterfragen, ob es nicht Zeit für eine Generalüberholung alten Gedankenguts ist, das in ihm steckt. Der Autor Elias Gottstein geht die Auseinandersetzung auf sehr originelle, poetische und musikalische Weise an.
Rahmenhandlung ist die fiktive Klage einer "jungen Stimme" vor Gericht, der es ein Anliegen ist, mit alten Denkmustern aufzuräumen und die einen gleichberechtigten Neustart fordert. Dezent eingebaute Verfremdungseffekte und unter anderem die Verwendung eindrucksvoller chorischer Einwürfe heben das ganze Szenario auf eine ansprechend merkwürdig-künstliche Ebene:
"Hört diese junge Stimme klagt vor Gericht. Unsere Verfassung wär' Teil einer Verschwörung. Und alles, was wir glauben, wer wir sind,
wär' nicht von Menschenhand bestimmt.
Werden wir Zeugen einer Macht und Mitwissende über Nacht, wenn der jüngste Prozess beginnt."
Es geht um philosophische Fragen, grundsätzliche Fragen der Rechtsprechung und die Rolle der Kunst für unser aller Leben.
"Welch lustige Geschichte: Eine 'Verschwörung der Kunst'! Heute wähnen die Leute hinter jeder Ecke geheime Machenschaften. Nur, weil der Sachverhalt zu kompliziert. 'Eine Verschwörung' rufen sie sogleich, 'endlich wird alles verständlich'. Und so wollt ihr euch am Rechtsstaat vergehen! Doch eine unabhängige Festung ist die Judikative! Beweise braucht ihr und glaubwürdige Zeugen, soll eure Klage hier bestehen."
Die fiktiven Figuren treten mit den echten Personen im Originalton in einen Dialog, beziehen sich auf deren Aussagen für ihre Argumentation auf der fiktiven Handlungsebene. So kommt unter anderem der "Racheforscher" Dr. Fabian Bernhardt zu Wort, der quasi von der "klagenden Stimme" in den Zeugenstand vor Gericht gerufen wird, und auf dessen Argumente die "junge Stimme" dann wieder eingeht.
"Danke Herr Bernhardt! Nun kann keiner leugnen: Die moderne Rechtsordnung folgt den gleichen Prinzipien von strafendem und rächendem Ausgleich wie die alten Gemeinschaften. Wo besteht aber der Unterschied zwischen ihnen und uns? Und das ist der springende Punkt. Lasst es mich sagen: in den Gesetzestexten. Recht wird nicht mehr gesprochen, sondern ist festgeschrieben. (...) Fest und trocken werden die Gesetze, sind sie erst zu Paragraphen geronnen, zu Preislisten für Straftaten, die über uns herrschen, zu Befehlen in Programmen. Einmal falsch parken kostet zehn Euro. Einmal töten zehn Jahre. Wenn das Recht also jemals der Logik der Ökonomie folgt, dann heute."
Mit dem Richter entwickelt sich ein interessantes Streitgespräch.
"'Dieses Lied ist doch alt. So klingt das modrige Misstrauen gegen Rationalität und Abstraktion. Alles Moderne ist dann teuflisch, doch so romantisch, wie ihr euch die Vergangenheit ausmalt, ist sie nicht. Wollt ihr etwa lieber von alten Männern nach Lust und Laune verurteilt werden? Nach verknöcherten Traditionen? Als nach sachlichen Gesetzen, die für alle gleich gelten?' – 'Ich will Gesetzestexte, in denen nicht der alte Patriarchenvasall noch spricht, und das Monster, das ihn sprechen lässt, verschleiert bleibt. Ich will Gesetze, die der Gerechtigkeit dienen.' - 'Genau das tun sie. Das Recht spricht, was vom Volke demokratisch verfasst wurde. Ja, angenommen, Sie hätten sogar Recht und auch unsere Rechtsordnung folgte der Logik der Rache. So sind Sie als mündige Bürgerin doch die von ihnen gewählten oder auch nicht gewählten Volksvertreter*innen sogar indirekt an der Aushandlung der Strafen, der Ausgleichsgesten und Gesetze beteiligt. Lasst es mich ganz einfach sagen: All die Paragraphen sind euer Werk."
Ein ungewöhnlicher, musikalisch ansprechender Hörgenuss!
Quelle: Elias Gottstein Bild: © NDR / Stefan Kl... www.ndr.de
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