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Volk und Wirtschaft

"Reiche nehmen die Realität anders wahr"

Alexandra Endres
Journalistin
Zum Kurator'innen-Profil
Alexandra EndresSonntag, 10.02.2019

In jüngster Zeit scheinen sich vermehrt Spitzenmanager zur Ungleichheit zu äußern, schreibt Jan Guldner in der Wirtschaftswoche. Zum Beispiel der Permira-Chef Kurt Björklund, der seit 23 Jahren in der Private-Equity-Branche arbeitet.

Wie kommt's? Haben die Reichen ein schlechtes Gewissen? Wollen sie gar etwas ändern an den Vermögens- und Einkommensverhältnissen? Guldner befragt dazu den Soziologen und Elitenforscher Michael Hartmann. Dessen Antwort, ganz klar: Ach wo. Den Spitzenmanagern und Unternehmern geht es ums Geschäft.

Wenn sie sich äußern, geht es ihnen darum, ihre Geschäftsmodelle zu schützen und nicht etwa um ernsthafte Maßnahmen zur Bekämpfung von Ungleichheit. Deshalb wird über solche Maßnahmen in diesen Kreisen nicht wirklich diskutiert und letztlich sind selbst Politiker wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro für sie akzeptabel, wenn sie nur die Steuern für Unternehmen und die Reichen senken.

Hier die drei für mich interessantesten Punkte des Gesprächs:

  • Hartmann sagt, die Bosse nähmen die Realität anders wahr als Normalverdiener. "Es kommt immer darauf an, wen man kennt." Und wer keine Arbeiter in seinem Freundeskreis hat, der glaubt, er sei auch als Millionär noch Mittelschicht.
  • Hartmann über politische Implikationen: 

Menschen wie Joe Kaeser und Kurt Björklund (die sich als Manager zur Ungleichheit äußern, Anm. AE) sind immer noch die Ausnahme. Aber es hilft der Diskussion. Wenn Kaeser sich zum Beispiel gegen die AfD positioniert, kann man ihn danach wenigstens fragen: Warum macht ihr in Sachsen dann die Werke dicht? Ein Jobverlust treibt die Menschen doch zur AfD.

  • Hartmann zu Steuern und ungleichen Einkommen: Er sagt, wenn die Manager es ehrlich meinten mit der Bekämpfung der Ungleichheit, müssten sie für Steuererhöhungen sein. Der Forscher selbst plädiert für höhere Steuern – und dafür, dass die Spitzenmanager nicht mehr 270-mal so viel Gehalt erhalten wie die durchschnittlichen Angestellten ihres Unternehmens. Sondern vielleicht nur noch das 14fache.
"Reiche nehmen die Realität anders wahr"

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Kommentare 14
  1. Olli Nym
    Olli Nym · vor fast 6 Jahre

    Mit welchem Argument rechtfertigt ein Manager ein Grundgehalt von 1 Millionen Euro zzgl. Gewinnbeteiligungen und Boni? Ich selbst habe auch eine 50 -60 Std. Woche gehabt, wenn es hart auf hart kam und wurde als Angestellter mit knapp 40.000 Brutto entlohnt. Und selbst da wurde mir durch die Blume gesagt das ich schon zu den besseren verdienern in dem Job gehörte. Ich bleibe dabei, das die Mehrheit der Gesellschaft die Politik dahin teriben muss, das es irgendwann eine gesetzliche Begrenzung von Managergehältern gibt. Und Firmen die das nicht beachten müssen sanktioniert werden. Die ganze Preis- und Lohnstruktur weltweit ist kaputt und muss ins Lot gebracht werden. Eine Mammutaufgabe...

    1. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor fast 6 Jahre

      Der Preis für Arbeit (auch Lohn genannt) richtet sich in einer Marktwirtschaft nicht danach, wie lange jemand auf seinem Stuhl sitzt. Er richtet sich nach Angebot und Nachfrage. Wenn jemand eine Qualifikation mitbringt, wie sie Zehntausende andere auch haben, die aber immer weniger nachgefragt wird, dann kommt ein niedriger Lohn dabei heraus. Und wenn jemand einmalige Talente oder Ausbildungen mitbringt (denken wir an Steve Jobs), dann ist eine Firma gut beraten, diesem Menschen auch einen Teil des Gewinns abzugeben.
      Wenn etwa eine Firma durch das Können eines Menschen 10 Millionen verdient, warum sollte dieser Mensch nicht 3 Millionen davon behalten wollen/dürfen?
      Das Problem liegt eher darin, dass viele Manager wenig geschäftliches Talent und viel Showtalent mitbringen ("Nieten in Nadelstreifen").

    2. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor fast 6 Jahre

      @Georg Wallwitz "Wenn etwa eine Firma durch das Können eines Menschen 10 Millionen verdient, warum sollte dieser Mensch nicht 3 Millionen davon behalten wollen/dürfen?"

      Das wäre schon in Ordnung. Aber wie rechnet man diese Kausalität aus? Welchen Anteil am Erfolg hat der Manager, welchen seine Arbeiter?

    3. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor fast 6 Jahre

      @Christoph Zensen Tja, das ist das alte Problem: wie unterscheidet man Glück von Können? In der Praxis ist es Verhandlungssache zwischen Firmeninhaber (meist vertreten durch den Aufsichtsrat) und Angestellten.
      Schon Adam Smith wusste, dass der Manager einen umso besseren Deal bekommt, je weiter der Eigentümer (Aktionär) von der Entscheidung entfernt ist. Ein Aufsichtsrat einigt sich mit einem angestellten Manager daher gerne auf ein zu hohes Gehalt auf Kosten der Aktionäre.
      Ein Unternehmer, der ein Unternehmen selbst gegründet hat und führt, weiß meist recht genau, wer sein Geld wert ist und wer nicht.

      Aber klar ist, dass Blender oft erstaunlich weit kommen und die großen Preise einsammeln, in jedem Lebensbereich (z.B. Relotius für den Journalismus).
      Mundus vult decipi ergo decipiatur.

    4. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor fast 6 Jahre

      @Georg Wallwitz Das meinte ich ja. Es ist eben gar nicht so klar, wer die Väter und Müter des Erfolg oder eben auch Misserfolgs sind. Deswegen fand ich ihr Argument etwas irreführend.

      Kleiner Exkurs: Beim Fußball geben sich einige Portale große Mühe, den Erfolg und Mißerfolg eines Spiels auf die einzelnen Spieler zu übertragen. Zitat:

      "Ebenfalls neu und in unserer neuen Übersicht integriert sind die Scoring Shares:

      Unsere Idee dahinter ist eine Möglichkeit der Zurechnung ergebnisentscheidender Aktionen auf die Spieler, um die wertvollsten Akteure mit einer Zahl abzubilden."

      Quelle: https://www.ligainside...

      Leider oder zum Glück ist es im Unternehmen noch einige Dimensionen komplizierter.

    5. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor fast 6 Jahre

      @Christoph Zensen Piq aus der Zukunft:
      "So funktioniert die Lohnverteilung mit A.I."

    6. Alexandra Endres
      Alexandra Endres · vor fast 6 Jahre

      @Christoph Zensen Was mir noch fehlt: Gehaltsverhandlungen werden auch durch Machtverhältnisse geprägt. Nicht nur durch Angebot, Nachfrage, Informationen. Das wäre mir noch wichtig zu bedenken - ohne jetzt sofort konkrete politische Forderungen daraus ableiten zu wollen ;).

  2. Georg Wallwitz
    Georg Wallwitz · vor fast 6 Jahre

    In dem Artikel geht es weniger um „Reiche“ als um Spitzenmanager. Menschen, die ihren Reichtum ererbt haben ticken ganz anders als die Menschen, die sich ihren Reichtum selbst erwirtschaftet haben. Die Erbengeneration hat dann auch oft ein recht ausgeprägtes soziales Gewissen. Das müssten eigentlich alle Piquer wissen :-)

    Und mit pauschalen Aussagen wie „Spitzenmanager erhalten 270-mal so viel Gehalt wie die durchschnittlichen Angestellten“ wäre ich auch vorsichtig. Es ist sachlich falsch und treibt der AfD nicht weniger die Wähler zu als eine Werksschließung in Sachsen.
    Ich habe mal in den Geschäftsbericht von Siemens geschaut:
    https://www.siemens.co...
    „Normale“ Vorstandsmitglieger (das sind doch wohl die Spitzenmanager?) erhalten ein Grundgehalt von ca. 1 Mio Euro pro Jahr (bei Kaeser sind es € 2,13 Mio). Das können sie in guten Jahren etwa verdreifachen durch variable Vergütung. Sie kommen also grob geschätzt auf EUR 3 Mio. pro Jahr. Und nach der hier geäußerten Pauschalbehauptung käme der durchschnittliche Siemensmitarbeiter auf ein Gehalt von EUR 11.111 pro Jahr. Ist das wirklich so?

    1. Alexandra Endres
      Alexandra Endres · vor fast 6 Jahre

      Hallo Herr Wallwitz,

      Die Zahl 270 bezieht sich im Text auf ein konkretes Beispiel - zugegeben, vielleicht ein extremes Beispiel. Und ja, das Gespräch bezieht sich auf Spitzenmanager, aber die in der Überschrift zitierte Aussage eben nicht nur.

      Ich glaube schon, dass die Umgebung und vor allem die Lebenserfahrung eines Menschen entscheidend dafür ist, wie er oder sie die Welt wahrnimmt. Egal, ob Erbe, Spitzenverdiener oder Arbeitsloser. Zumindest deckt sich das mit meinen Erfahrungen ;).

      Schöne Grüße,

      Alexandra Endres

    2. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor fast 6 Jahre

      @Alexandra Endres Hallo Frau Endres,
      nun habe ich noch mal nachgedacht, was mich daran stört. Es ist weniger der Inhalt, als die Form: es ist nicht in Ordnung, ein Extrembeispiel zu nehmen und es zu pauschalisieren. Wenn etwa jemand als Beispiel einen Asylbewerber nimmt, der eine Frau vergewaltigt und dann umbringt, und dann sagt: alle Asylbewerber sind Vergewaltiger und Mörder - dann folgt dieses Argument demselben Schema: Extreme Beispiele pauschalisieren. Das stört mich.

    3. Alexandra Endres
      Alexandra Endres · vor fast 6 Jahre

      @Georg Wallwitz Hallo Herr Wallwitz,

      Danke für die Erläuterung.

      Das Extrembeispiel geht wohl auf meine Kappe, ich finde, im Gespräch nehmen die 270 gar nicht so eine exponierte Rolle ein - und im Übrigen habe ich sie zwar herausgegriffen, weil ich sie besonders illustrativ fand, aber auch beim Schreiben des Piqs war diese Zahl für mich nicht das Entscheidende. Sondern der Gedanke, den ich in die Überschrift gepackt habe. Um es nochmal zu paraphrasieren: Die Lebensumstände bestimmen, wie mab die Welt wahrnimmt (und das gilt auch für Reiche vs Arme). Dabei würde ich auch bleiben.

      Im Übrigen hinkt Ihr Vergleich, oder vertue ich mich? Mein Text und das gepiqte Interview bezeichnen ja nicht alle Reichen pauschal als Verbrecher. Gesagt wird nur, dass ihre Weltsicht durch ihren Wohlstand geprägt ist, und dass das auch ihre politischen Präferenzen beeinflusst.

      Schöne Grüße! AE

    4. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor fast 6 Jahre

      Erben ticken anders als Einkommenmillionäre und es gibt immer positive Ausnahmen. Aber allgemein gilt doch: "Money makes you mean" ;-)

      https://www.ted.com/ta...

    5. Alexandra Endres
      Alexandra Endres · vor fast 6 Jahre

      @Christoph Zensen Klar gibt es immer Ausnahmen. Und Erben haben vermutlich eine andere Lebenserfahrung als Einkommensmillionäre, ja. Ob Geld gemein macht, weiß ich nicht - ich würde eher sagen: Das Sein bestimmt das Bewusstsein ;).

    6. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor fast 6 Jahre

      @Alexandra Endres Das mit dem "Sein bestimmt das Bewusstsein" wollte ich auch gerade sagen! Seufz.

      Am Ende findet sich das Beste zu dem Thema wohl bei F. Scott Fitzgerald, der es wissen musste:
      "Let me tell you about the very rich. They are different from you and me. They possess and enjoy early, and it does something to them, makes them soft where we are hard, and cynical where we are trustful, in a way that, unless you were born rich, it is very difficult to understand. They think, deep in their hearts, that they are better than we are because we had to discover the compensations and refuges of life for ourselves. Even when they enter deep into our world or sink below us, they still think that they are better than we are. They are different." (Aus: The Rich Boy)

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