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Volk und Wirtschaft

Sparen bis zum Untergang

Jürgen Klute
Theologe, Publizist und Politiker
Zum Kurator'innen-Profil
Jürgen KluteMittwoch, 14.08.2024

Dass Austeritätspolitik politisch hochriskant ist, sollte in Deutschland seit Reichskanzler Heinrich Brüning (vom 30. März 1930 bis zum 30. Mai 1932) bekannt sein. Wirtschaftstheoretische Erklärungen dazu hat John Maynard Keynes ausreichend geliefert. Umso mehr überrascht es, wie sehr sich die Bundesregierung im Gleichklang mit ein paar anderen Ländern knapp hundert Jahre nach den desaströsen Erfahrungen mit der brüningschen Sparpolitik erneut an diesen Fetisch klammert. Denn anders lässt sich wohl kaum beschreiben, was gestern (13. August 2024) am Bodensee passiert ist. Die Finanzminister aus den fünf deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich, Luxemburg, der Schweiz und Liechtenstein hatten sich dort zu ihrem jährlichen Treffen eingefunden.

Wie Jonathan Packroff auf dem europäischen Nachrichtenportal schreibt, ging es bei dem Treffen um die Frage, wie man privates Kapital mobilisieren und gleichzeitig die öffentliche Verschuldung senken kann – wie sich also der Staat aus seiner steuernden Funktion (siehe Keynes) zurückziehen kann.

Packroff stellt in seinem Beitrag die Positionen der fünf Finanzminister vor und er arbeitet das Konfliktpotential heraus, dass diese eigentlich überholte neoliberale Positionierung für die Europäische Union darstellt, angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen die EU infolge der Klimakrise und des Krieges in der Ukraine steht.

Einmal mehr zeigt der deutsche Finanzminister – ein eifriger Verfechter der Schuldenbremse und der brüningschen desaströsen Sparpolitik, mit stillschweigender Zustimmung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers, dass die FDP sich zu einer Anti-EU-Partei mutiert hat. Wie diese Politik die EU bereits heute belastet, zeigt ein weiterer Artikel der taz (14.08.2024) von Simon Poelchau „Wirtschaftslage in der EU: Deutschland zieht Europa runter“.

Sparen bis zum Untergang

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Kommentare 49
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor 3 Monaten · bearbeitet vor 3 Monaten

    Das Projekt der Kapitalmarktunion ist bereits fast 10 Jahre alt. Nach dem Euractiv-Artikel sieht es nicht danach aus, dass sie schnell kommt, trotz akuten Investitionsbedarfs und der „Berge, die vor uns liegen“.

    „Es ist Zeit für eine echte Kapitalmarktunion“ war vor zwei Jahren das eindringliche Votum der EZB-Ratsmitglieder Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank, und François Villeroy de Galhau, Gouverneur der französischen Nationalbank. https://www.handelsbla... - der Kommentar erschien parallel in Les Echos, 14.11.2022.

    In den beiden wirtschaftlich bedeutenden EU-Mitgliedstaaten ist der Pro-Kopf-Wert des Bruttoinlandsprodukts in F zwar geringer, jedoch ist dort 2023-2024 ein leichtes BIP-Wachstum zu verzeichnen, entgegen der Schrumpfungstendenz in D.

    Die wirtschaftlichen Probleme unseres Landes spüren nicht nur die Berufstätigen. Wir sahen das historisch schlechtere Abschneiden bei Olympia 2024. Kürzlich sprach ich mit einem Jugendsporttrainer aus meinem Bekanntenkreis. Er führt das auf die seit Jahren heruntergefahrene Finanzierung der Vereine des Breitensports zurück, der für die Auswahl und Förderung von Talenten, aber auch zur Entschärfung der Situation Jugendlicher in Brennpunktbezirken entscheidend ist.
    Dgl. gilt für unzureichende Begabtenförderung auf verschiedensten Gebieten, die Absenkung des Niveaus der Allgemeinbildung.
    Auswirkungen könnten wir in der Folge noch viel stärker zu sehen bekommen.

    Oder nehmen wir die Misere im Verkehrswesen. Der akute Investitionsbedarf der Deutschen Bahn von 100 Mrd. Euro - alarmierend, auch im Vergleich zu Verteidigungsausgaben, Ukrainehilfen ...
    Am Wochenende fuhr mein ICE am Abgangsbahnhof eine halbe Stunde nach Abfahrtszeit ein. Der Grund laut Durchsage war „die verspätete Bereitstellung des Zuges“ - was die auf dem Bahnsteig Wartenden auch selber sahen. Eine Ausrede, die man oft hört. Am Ziel wurde daraus eine knappe Stunde Verspätung, davor doch noch eine entschuldigende Durchsage im Zug: Eine planmäßige Baustelle auf der Strecke ist nicht pünktlich fertig geworden.
    In letzter Zeit fahre ich seltener in Fernzügen, dennoch waren die wiederholt verspätet, weil ein Lokführer nicht rechtzeitig verfügbar war.
    Die Bahn erklärt, sie könne keine Fahrpläne mehr erstellen, nur noch schätzen. Es entwickelt sich zu einem totalen Kontrollverlust hin.

    Ergänzend zum Thema Kapitalmarktunion Infos der Europäischen Investitionsbank (EIB): https://www.eib.org/de...
    Bei Vorstellung des EIB-Jahresberichts in Berlin wurde in der Diskussion ein kritischer Punkt angesprochen. Die Handlungsspielräume der EU für eine gemeinschaftliche Industriepolitik sind begrenzt. In den USA können Innovationen oder ganze Industriezweige landesweit steuerlich oder über Zuschüsse gefördert werden. Entwicklungen werden so beschleunigt. In der EU ist das immer nur im Rahmen einzelner Förderprojekte möglich.

    In einem kurzen Kommentar beschreibt Tomaso Duso die Herausforderungen zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit Europas: https://www.diw.de/de/...

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      Nun, in vielen europäischen Ländern funktionieren die Bahnen auch ohne Kapitalmarktunion. Z.T. bei geringerem BIP/Kopf verglichen mit D. In der Schweiz sogar mit sehr viel geringerer Schuldenquote. Es war auch nicht so, dass wir in D in den letzten Jahrzehnten nicht genug Geld gehabt hätten. Sozialquote und Staatsquote waren hoch. Es bleiben also zwei Gründe, die wenig diskutiert werden - viel Geld wurde durch Umverteilung privat konsumiert und der öffentliche Sektor geht sehr ineffizient mit seinen Finanzen um. Die Beispiele für letzteres sind bekanntlich zahlreich. Überregulierung, Bürokratie, Verschwendung, Unprofessionalität lassen grüßen. Das alles jetzt durch weitere Schuldenaufnahme ausgleichen zu wollen erscheint mir kein guter weg. Zumal unsere Demographie, die Alterung der Gesellschaft dafür keine gute Basis bietet.

    2. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl ...was genau meinst du mit "wurde privat konsumiert"?

      Die Schweiz investiert pro Kopf anscheinend 5x so viel in die Schiene wie wir - ist dir Frage, tut sie das, weil sie es will, oder weil sie es kann?

      An anderer Stelle diskutierten wir ja gerade, warum die AfD erfolgreich ist. Sie baut auf Frust und (empfundener) Marginalisierung auf - aus meiner Sicht hängt das mit den vergammelten Infrastrukturen zusammen und das liegt tiefer als die Migrationsfrage. Ausländerhass wird geschürt, wenn Merz sagt "die nehmen euch die Zahnarzttermine weg" - gäbe es genug Zahnärzte und Termine, liefe das ins Leere. Und traurig das zu sagen, aber ich befürchte realpolitisch korrekt: Menschen fangen auch an die Wutalternative zu wählen, weil sie die Bahn brauchen, dafür viel bezahlen müssen und sie dann nicht fährt.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten · bearbeitet vor 3 Monaten

      @Marcus von Jordan Staaten, Völker, beziehungsweise Volkswirtschaften müssen immer entscheiden, welchen Anteil des BIP sie privat konsumieren oder eben investieren. Ressourcen sind immer begrenzt. Politik unterliegt dabei ständig der Versuchung populistisch dem privaten Konsum Vorrang einzuräumen. Daran ist bereits die DDR krachend gescheitert. Das sich jetzt die Parteien gegenseitig die Schuld an der Jahrzehnte langen Unterinvestition, sich das wechselseitig in die Schuhe schieben, ist ein recht durchsichtiges Manöver. Letztendlich sind sie alle mit großen Versprechungen durchs Land gezogen. Und das Volk (der Souverän) hat es gern geglaubt. Große Teile des Volkes möchten natürlich am liebsten gar nichts für die Bahn und andere Infrastrukturen bezahlen. Man erzählt ihn ja auch, dass das 49 € Ticket eine große Errungenschaft sei. Nur dass man damit natürlich keine moderne Infrastruktur finanzieren kann, das diskutiert man nicht. Man kann nicht alles gleichzeitig haben – hohe Nettolöhne, hohe und frühe Renten, super Infrastrukturen und Bildungssysteme, Integration von großen Zahlen an Asylbewerbern, sinkende Arbeitszeiten, wenig Wirtschaftswachstum, hohe Schulden und so weiter und so weiter. Wenn man das dennoch über lange Zeit versucht, muss man sich nicht wundern, wenn das Volk Wutausbrüche bekommt, ob der Ergebnisse. Und es beginnt der Kampf um knappe Infrastrukturgüter. Da mußt du gar nicht viel Hass schüren. Der kommt so oder so automatisch. Dann sucht man Schuldige - die Politiker, die Rechten, die AfD, die Reichen, die Ausländer, Ludwig Merz etc. etc. Nur den eigenen Anteil im komplexen Geflecht der ganzen Entwicklung, den mag man nicht so gern zur Kenntnis nehmen.

    4. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Danke. Verstehe.
      Ganz so relativ sehe ich das nicht aber. In einer Demokratie ist Staat für mich eben besonders verantwortlich für das, was keine Lobby hat. Das sind häufig Infrastrukturen. Damit bestehst du im Machtkampf halt nur schlecht gegen das, was du so richtig beschreibst - Versprechungen und kurzfristige "Geschenke". Dafür haben wir einfach zu wenig Mündigkeit. Trotzdem darf ich es besonders verwerflich finden, wenn die, die sozusagen numerisch belegt die meiste politische Macht ausgeübt haben, jetzt den Frust und die Wut aus ihrem Versagen auch noch aufblasen, um von sich abzulenken - und das machen durchaus nicht alle.
      Als Bürgerlein kann man sich nur angewöhnen, auf die neugierig zu sein, die Unbequemes sagen.

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten · bearbeitet vor 3 Monaten

      @Marcus von Jordan Ja. Aber wenn ich ehrlich bin, sehe ich den Kampf gegen rechts, so wie er jetzt geführt wird, u.a. als breites Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen. Eigentlich haben doch in der Bundesrepublik fast alle politischen Strömungen die Unmündigkeit und Staatsgläubigkeit aber auch die Anspruchshaltung ihrer Bürger befördert. Aber die Ansprüche nicht befriedigt. Auch nicht in meist links regierten Bundesländern.

    6. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Wie viel von diesem "Sport", Anspruchshaltungen zu befördern, ist noch ein Überbleibsel der Gewohnheit aus dem Kalten Krieg, auch einen Kulturkampf zur Frage zu führen, welches System die eigenen Bürger:innen zufriedener machen kann?

    7. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 3 Monaten

      @Silke Jäger sehr gute Frage finde ich - denn die Systemfrage stellt sich eigentlich nicht mehr. Wenn wir sie wirklich loslassen würden, könnte man vielleicht ehrlicher und konsequenter an der Qualität im System arbeiten.

    8. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor 3 Monaten · bearbeitet vor 3 Monaten

      @Marcus von Jordan Ja, ich finde auch, da hat das Reden vom Ende der Geschichte einen Rausch ausgelöst, in dem die Zeit für solche Fragen fehlte. Wenn jetzt passiert, was passieren kann, dass wieder alte Denkmuster die Welt in zwei (oder mehr) Lager aufteilt, die in einen kalten Krieg eintreten, kommt man vielleicht wieder nicht dazu, sich die Fehlentwicklungen anzuschauen, die Thomas benennt (damit will ich nichts über die Schrecklichkeit von heißen Kriegen totschweigen).

    9. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      @Silke Jäger Der Witz ist ja, befragt man die Deutschen nach ihrer individuellen Zufriedenheit, geben 89% an, sie seien sehr oder ziemlich zufrieden.
      https://de.statista.co...

      Ost und West unterscheiden sich dabei in verschiedenen Lebensbereichen gar nicht so sehr:

      https://de.statista.co...

      Insgesamt scheint unser System die Bürger also individuell ziemlich zufrieden zu machen. Nur glauben andererseits viele, dass sie in eher unglücklichen Zeiten leben. Ihre eigene Lebenszufriedenheit also eher die Ausnahme wäre.

      https://www.faz.net/ak...

      Was bei mir den Verdacht aufkommen läßt, das all diese Einschätzungen nicht sehr rational sind.

    10. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Bin ich zu doof? Wie kann die Gesamtzufriedenheit bei 89% liegen, wenn so ein Wert nicht annähernd in einer einzelnen Kategorie erreicht wird? Bzw. welche anderen Kategorien haben denn dann den Gesamtwert so nach oben geballert?

      Erstaunlich auch, dass den höchsten Zufriedenheitswert ausgerechnet die Wohnsituation hat.

    11. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      @Marcus von Jordan Frühjahr 2024: 21% Sehr zufrieden, 68% ziemlich zufrieden, der Rest Nicht sehr zufrieden oder überhaupt nicht zufrieden (1%) (einfach mal den Balken in der Grafik antippen)

    12. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl so doof bin ich nicht :) - oder doch?
      ich meine die beiden Grafiken im Vergleich. Die eine zeigt 89% grundsätzliche Zufriedenheit. Und die andere schlüsselt nach Kategorien der Zufriedenheit auf und die dürfte im Schnitt so bei 65% liegen...

    13. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      @Marcus von Jordan Ah, sorry. Die zweite Grafik arbeitet ja nicht mit Prozent sondern mit "Noten" in 10 Stufen. Direkt vergleichbar ist das m.E. nicht? Man weiß ja nicht, wieviele in diesen Stufen z.B. eine 10 gegeben haben oder eine 1.

    14. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl joa... vielleicht nicht direkt vergleichbar, aber die Diskrepanz ist interessant. Psychologie der Umfrage. Ich vermute, dass die generelle Umfrage unterbewusst einfach weniger Angriffsfläche bietet und die einzelnen Themen schaffen einfach genauere Aufmerksamkeit für die einzelnen Probleme.

    15. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      @Marcus von Jordan Ja. Differenzierter ist meist genauer. Aber auch mit mehr Aufwand verbunden - für Frager und Befragte …..

    16. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor 3 Monaten · bearbeitet vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Zufällig heute hat das ZDF dazu einen Beitrag über eine neue Umfrage des DIW https://www.zdf.de/nac... Demnach werden wir immer zufriedener ...

    17. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 3 Monaten

      @Silke Jäger Bei Zufriedenheitsstatistiken handelt es sich ja um weiche Daten, subjektiv geprägt.
      Hierzu DIW-Präsident Marcel Fratzscher in seiner aktuellen Kolumne:

      „Die Wissenschaft unterscheidet zwischen affektivem Wohlbefinden, also wie häufig Menschen positive und negative Gefühle erleben, und kognitivem Wohlbefinden, also dem Vergleich der gegenwärtigen Lebenssituation mit den Wünschen der Menschen. In das kognitive Wohlbefinden fließt sowohl die Einschätzung der eigenen Zufriedenheit mit der allgemeinen Lebenssituation ein, als auch die Zufriedenheit mit einzelnen Lebensbereichen.“

      Durch Verknüpfung der verschiedenen Aspekte der Studienergebnisse in der Tiefe gibt Fratzscher mögliche Interpretationen, warum bei gestiegener Zufriedenheit mit den persönlichen Lebensverhältnissen die Unzufriedenheit mit Politik und Gesellschaft allgemein sowie aufgrund von Defiziten bei der Daseinsfürsorge in der eigenen Region ebenfalls zugenommen hat.

      Sein Fazit:
      Dass die Deutschen selten zufriedener mit ihren individuellen Lebensverhältnissen waren als heute, „heißt nicht, dass sich die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft zurücklehnen können. Sie müssen vielmehr Zukunftsängste ernst nehmen und am gesellschaftlichen Zusammenhalt arbeiten. Das Scheitern von Politik und Gesellschaft in den letzten 20 Jahren bestand nicht darin, den Menschen keine besseren Lebensbedingungen und eine höhere Lebenszufriedenheit ermöglicht zu haben, sondern darin, dass die Zufriedenheit und Identifikation mit der Gesellschaft für viele nachgelassen haben. Mehr Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhalt sollten daher eine wichtige Priorität für die künftige Politik sein. https://www.zeit.de/wi...

      Dazu braucht es meiner Meinung nach viel mehr Geschlossenheit aller Demokraten. Sie müssen zusammenstehen im Streit um konsensfähige Lösungen zur best- und schnellstmöglichen Umsetzung des Machbaren, und nicht ins Klein-Klein verfallen, wie es selbst innerhalb der Regierung und in der EU oft geschieht.
      Der schreckliche Terroranschlag in Solingen ist erneut eine Mahnung zum entschlossenen Handeln.

    18. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      @Lutz Müller Letzteres klingt gut, ist aber widersprüchlich. In Demokratien streitet man ja um Mehrheiten. Wer ist denn in diesem Streit Demokrat und wer nicht? Und wie lange will/kann man denn Streiten, bis man (mit wem) Konsens hat? Was wirklich "machbar" ist, das weiß man auch meist erst hinterher. Siehe Grenzkontrollen ….

    19. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Nicht besonders rational heißt wahrscheinlich mit anderen Worten: Da ist viel Psychologie drin. Politische Diskussionen dienen meiner Erfahrung nach auch sehr gerne mal zur Ablenkung von unbewältigten Gefühlslagen. Die Wut und den Frust, den man da reinlegen kann, entbindet von noch unangenehmerer Arbeit an ziemlich persönlichen Problemen – jedenfalls kurzzeitig ...

    20. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      @Silke Jäger Ja, so ungefähr. Eben auch viele Bauchgefühle, Stammtischgerede, Herdentrieb. Vielleich noch Sublimierung eigener Fehler?

    21. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Ja das stimmt mindestens, was die SPD angeht aus meiner Sicht. Und die andere Seite führt halt diesen "Ablenkungskampf" gegen den angeblichen linksgrünversifften Mainstream.

      Die Grünen reihen sich da noch nicht gänzlich ein. Einerseits weil sie einfach wenig Regierungsverantwortung hatten und andererseits weil ihre ganze Bewegung eben auf so einer unbequemen Tatsache, also dem drohenden, ökologischen Kollaps, beruht. Wo sie in der Verantwortung waren, sind sie aber häufig bald Teil der von dir beschriebenen Dynamik geworden. Habeck schätze ich immer noch, weil er immer noch vergleichsweise häufig die unpopulären Meinungen vertritt meiner Ansicht nach. Er sagt viele Dinge, über die man so oder so denken kann, die aber offensichtlich nicht geeignet sind, ihm zu helfen.

    22. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 3 Monaten

      Danke Lutz - mir aus der Seele.
      Ich glaube man müsste noch viel genauer schauen, wofür Geld ausgegeben wird und nicht, wie man mehr ausgeben könnte. Viel genauer. Die Schweiz gibt pro Kopf etwa 5x so viel aus für die Bahn und Österreich mehr als 3x - sagt ein befreundeter Bahn-Manager - die Zahlen in der Presse schmeicheln scheinbar der Realität. Heulend prangern die Konservativen diese und alle anderen vergammelten Infrastrukturen an, jetzt wo sie gerade mal für 5 Minuten raus sind aus der Hauptverantwortung. Werden sie aber begreifen, dass Infrastrukturen eben grundsätzlich sind für Wohlstand? Und dass das nicht links, sondern einfach notwendig und vernünftig ist? Oder wird das wenigstens bei den sogenannten Sozialdemokraten verstanden?

    23. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 3 Monaten

      @Marcus von Jordan Das ist der Punkt. Die DB ist, genau wie ÖBB und SBB, in Besitz des Bundesstaates, also quasi eine Tochtergesellschaft der Bundesrepublik. Nur das Bundes-B wurde seinerzeit, und es war nicht die SPD, beim gescheiterten Privatisierungsprojekt aus dem Namen gestrichen.

      Als ich das hier las (März 2024): https://www.faz.net/ak... , war mein erster Gedanke: Wie krank ist diese Republik? Welche Macht hat der Kanzler, mit seinen Erfahrungen u.a. auch als Ex-Finanzminister?

      Wie es weiter ging: https://de.wikipedia.o...

      Es ist ein sexy Projekt für private Risikoinvestitionen, keine Priorität, wen sollen die Flugtaxis befördern? Und auch die Ökobilanz im Nahverkehrskontext muss hinterfragt werden.

      Bei alldem hat auch Thomas recht, wenn er sagt, dass vieles in privaten Konsum fehlgeleitet wird. Dazu gehört auch die Vergütung von Staatsbediensteten in wenig effizienten Behörden. Hinzu kommt deren Staatsverbrauch an Gebäuden und Anlagen. Es ist nicht die Schuld der Menschen, die ihre Arbeit gewissenhaft tun. Das alles in der schwerfälligen Bund-Länder-Struktur umzugestalten, ist nicht von heute auf morgen möglich. Eine beliebige Verwaltungsbehörde kann nicht schnell mal mit Innovationsförderung oder der Umsetzung einer EU-Kapitalmarktunion beauftragt werden.

    24. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 3 Monaten

      @Marcus von Jordan Hier kommt gerade etwas Optimismus herüber, dringend nötig:
      Bahnfahren soll zu einer Leichtigkeit werden! Wenn denn auch Schienen, Weichen und Stellwerke mithalten ... https://www.faz.net/ak...

      Beeindruckend die Klimakammer bei minus 25 Grad. Nicht bei sibirischem Frost, sondern nasskaltem Wetter um den Gefrierpunkt war ich 2010 einmal in Wolfsburg gestrandet: eine eingefrorene Weiche und nach halbstündigem Streckenhalt auch eingefrorene Bremsen am ICE.

  2. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 3 Monaten · bearbeitet vor 3 Monaten

    Den Vergleich dieses Versuches privates Kapital zu mobilisieren und gleichzeitig die öffentliche Verschuldung zu senken mit der brüningschen Sparpolitik halte ich für eine böse Unterstellung. Der Staat zieht sich damit auch nicht aus seiner steuernden Funktion zurück - er gestaltet sie anders. Das kann man mögen oder nicht und man kann es seriös kritisieren. Eine Anti-EU Politik sehe ich auch nicht.

    Die Situation heute ist mit den beginnenden 30er Jahren nicht vergleichbar und auch die politischen Maßnahmen sind es nicht. Weder fordern die Minister eine Notverordnungen noch einenKürzung des Arbeitslosengeldes und der Renten oder der Beamtengehälter. Auch die Absenkung der Löhne um 45 % steht nicht auf dem Programm. Ebensowenig wie die Verstaatlichung der Banken. Die Schuldenbremse erlaubt durchaus eine weitere begrenzte Staatsverschuldung a la Keynes. Und das passiert ja auch.

    Ich finde diese Methode, die politischen Gegner dadurch zu deligitimieren, das man möglichst unsinnige, schlimmstmögliche Vergleiche anstellt, unseriös. Und als einen Beitrag zur Spaltung der Gesellschaft.

    1. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 3 Monaten

      Also, die FDP delegitimiert sich derzeit selbst, und zwar auf allen politischen Ebenen. Der Grund für die Delegitimierung ist die Politik der FDP, nicht die Darstellung und Berichterstattung darüber.

      Zu dem Zusammenhang von Sparpolitik und dem Aufstieg rechtsextremer Parteien gibt es mittlerweile mehrere Beiträge von Wissenschaftler:innen verschiedener Fachrichtungen, die übereinstimmend die demokratiegefährdende Wirkung dieser Politik bestätigen. Hier ein paar Links dazu:

      Kranker Mann und dummer Mann? Wie die Ampelkoalition uns in die Krise spart. Von Peter Bofinger. Blätter für deutsche und internationale Politik, März 2024 (https://www.blaetter.d...)

      Zur Geschichte der gegenwärtigen Sparpolitik – Lehren aus der Haushaltsoperation ’82. Die deutsche Haushaltspolitik tritt gegenwärtig in eine neue Phase zwischen Haushaltskrise und Sparpolitik ein. Der Beitrag diskutiert einige zentrale Neuordnungen. Zur Schärfung des Blicks wird eine beinahe 40 Jahre zurückliegende Austeritätsepisode in Deutschland herangezogen, die Haushaltsoperation '82. Von Tino Petzold. Geschichte der Gegenwart, 17. März 2024. (https://geschichtederg...)

      Spart der Staat die extreme Rechte stark? Der Bundesfinanzminister bezweifelt, dass Austeritätspolitik extrem rechten Parteien wie der AfD hilft. Gleich mehrere aktuelle Studien zeigen aber einen Zusammenhang. Von Jonas Schaible. Der Spiegel, 25.05.2024 (https://www.spiegel.de...)

      Auf einem Treffen der EU-Finanzminister im Februar 2024 in der belgischen Stadt Gent stand die Entwicklung einer Kapitalmarktunion im Vordergrund, wie das deutschsprachige belgische öffentlich-rechtlich Nachrichtenportal Flanderninfo berichtete. Dabei geht es um "ein europäisches Sparprodukt", mit anderen Worten um EU-Anleihen, auch wenn der Begriff in dem Artikel vermieden wird. Was in Deutschland Schulden sind, betrachten die EU-Partner als Aktivierung privater Ersparnisse durch staatliche Anleihen, um nötige Investitionen leisten zu können. Auch dort fiel der deutsche Finanminister Christian Lindner (FDP) als Bremse auf EU-Ebene auf.

      Man kann das in Deutschland natürlich ignorieren. Nur Ignorieren ändert nichts daran, dass die Bundesregierung in Brüssel mittlerweile als nur mehr begrenzt zuverlässig eingestuft wird infolge des Agierens der FDP als fossile Lobby-Partei und als Partei der Schuldenbremse. Damit ist die FDP zu einem Risiko für die weitere Entwicklung der EU geworden, die eben, wie der Bericht aus dem Flanderninfo betont, vor enormen Investitionsherausforderungen steht. Gelingen diese Investitionen aufgrund des verbissenen Festhaltens an der Sparpolitik nicht, dann gefährdet das die EU.

      Hier der Artikel aus dem Flanderninfo: EU-Gipfel in Gent sucht nach Wegen zur Aktivierung der europäischen Sparguthaben. 23. Februar 2024. (https://www.vrt.be/vrt...)

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      @Jürgen Klute Die meisten sehen den Zusammenhang klar zw. dem Erfolg rechterer Parteien und der Migrationspolitik. Nicht bei der angeblichen "Sparpolitik". Die Staatsquoten sind auf einem historischen Hoch. Und eine Gesellschaft, die sich ständig am Rande des erträglichen wähnt um dann Ausnahmesituationen zu kreieren, die ist nicht nachhaltig. Wenn man nur wenig Geld mehr ausgibt als man hat, ist das auch keine Sparpolitik. Sondern immer noch Schuldenpolitik. Schon der Begriff "Sparpolitik" ist also selbst eine bewußte politische und mediale Irreführung.

      Der SPIEGEL-Artikel ist ein schönes Beispiel für versuchtes mediales Nudging. Erst schreibt er: "Allzu direkte historische Vergleiche sind in der Wissenschaft verpönt, allerdings sind Parallelen augenfällig." Um dann den historischen Vergleich ganz groß herauszubringen. Dann versucht man aus einer sehr weichen Koinzidenz aus den Diskussionen zum "Sparhaushalt" und einem angeblichen Hoch der AfD einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu konstruieren. Also eine Partei, der man sonst vorwirft Neoliberal zu sein profitiert von einer angeblich neoliberalen Sparpolitik der politischen Gegner? Wer soll das glauben?

      "Auch volkswirtschaftliche Kennzahlen zeigen keinen Zusammenhang zwischen Kürzungen und einem Erstarken der AfD. Während des Sparkurses von Schäuble ging die Staatsquote von 48,1 Prozent im Jahr 2010 auf 44,3 Prozent 2014 zurück, die Sozialleistungsquote von 30 auf 29,1 Prozent. Große Erfolge feierte die AfD damals nicht.
      Auch in seiner zweiten Amtszeit gab sich Schäuble als eiserner Kassenwart. 2014 erreichte er erstmals seit Jahrzehnten einen Haushalt ohne Neuverschuldung. Die AfD dümpelte bis ins Jahr 2015 hinein in den meisten Umfragen bei fünf bis sechs Prozent.
      Erst als die Flüchtlingskrise begann, bekam die Rechtsaußenpartei Auftrieb. Im Dezember 2015 schaffte sie in Umfragen erstmals zehn Prozent, bis zum Sommer 2016 stieg sie auf 15 Prozent. „Der Anstieg der AfD auf 9,5 Prozent aller Wahlberechtigten bei der Wahl 2017 wurde begünstigt durch die heftigen Kontroversen über die Merkel´sche Flüchtlingspolitik“, sagt Güllner."

      https://www.handelsbla...

      Insgesamt scheint mir diese Einschätzung der Realität wesentlich näher zu kommen:
      "Er sieht die Gründe für den Höhenflug der AfD etwas differenzierter: „Soziale Schieflagen spielen sicherlich eine Rolle, aber die Wählerschaft der AfD fühlt sich auch durch neoliberale Kernbegriffe wie Leistungsgerechtigkeit und den Fokus auf soziale Marktwirtschaft angesprochen“, sagt Salheiser – insbesondere aber auch durch konkrete Forderungen nach Steuerentlastungen für Geringverdiener. Ebenso stoße die konsequente Ethnisierung der sozialen Frage auf Widerhall.
      „Die entscheidensten Mobilisierungsfaktoren für die AfD bleiben Migrations- und Asylfragen sowie Identitätspolitik von rechts“, so der Soziologe. Es seien eben nicht die Ärmsten, die AfD wählten, sondern diejenigen, denen Statusverlust drohe – die untere bis obere Mittelschicht. Persönliche Benachteiligung sei weniger entscheidend als durchlittene Abstiegsprozesse und kollektive Deklassierungen – „etwa, wenn man Ostdeutsche herabsetzt“, sagt Salheiser. Mit dem Slogan „Vollende die Wende“ spreche die AfD genau dieses Grundgefühl an, das aber mit sozioökonomischen Faktoren und Statusver­lustängsten verknüpft sei.
      https://taz.de/Die-AfD...

    3. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl „Große Erfolge feierte die AfD damals (2014) nicht“, schreibt das Handelsblatt – allerdings wurde die AfD erst 2013 gegründet, war entsprechend weniger bekannt und verfehlte in diesem Wahljahr den Einzug in den Bundestag knapp. Außerdem waren es Jahre des Aufschwungs nach der Finanz- und Wirtschaftskrise.

      Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat eine aktuelle Studie veröffentlicht: „Wirtschaft, Demografie und strukturelle Missstände: Die Faktoren hinter dem Erfolg der AfD bei der Europawahl 2024“. https://www.diw.de/doc...

      Die DIW-Studie ist komplexer als die Analyse des Soziologen und Extremismusforschers Salheiser und kommt in einem entscheidenden Punkt zu einem anderen Ergebnis. Sie untersucht auf Kreisebene, wie die Stimmanteile von AfD und BSW bei der Europawahl 2024 mit den genannten Faktoren zusammenhängen. Marcel Fratzscher resümiert in seiner ZEIT-Kolumne, dass
      „die Demografie die wichtigste Erklärung für die Stärke von AfD und BSW ist, die Migration spielt hingegen eine geringere Rolle, vor allem in Ostdeutschland. Die Ergebnisse unserer Studie widersprechen somit dem gängigen Narrativ, Migration sei das größte Problem und die wichtigste Erklärung für den Aufstieg von AfD und BSW. Wichtigere Gründe sind Zukunftsängste und Sorgen dort, wo junge Menschen abwandern, die Daseinsvorsorge geschwächt und die wirtschaftliche Situation unsicher ist.“

      Sein Fazit:
      „Erforderlich sind Zukunftsinvestitionen, die die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit auch strukturschwächerer Regionen verbessern. Zudem braucht es eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die gerade strukturschwächere und demografisch schnell alternde Regionen besser unterstützt.“
      https://www.zeit.de/wi...

      Die AfD vertritt neoliberale Grundpositionen, auch wenn sie „abgehängten“ Anhänger‘innen etwas anderes vorgaukelt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass neoliberale FDP-Politik sich für die AfD nützlich erweisen kann.

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      @Lutz Müller Na ja, Zukunftsinvestitionen in Gegenden ohne Jugend und Menschen überhaupt? Der Glaube, man könne alles mit mehr Geld ausgleichen und so "soziale Gerechtigkeit" herstellen. der erscheint mir zunehmend auch etwas naiv. Die Folgen der Alterung von Gesellschaften, das so bedingte Schrumpfen der Wirtschaften durch anhaltend höhere Schulden ausgleichen zu wollen erinnert mich etwas an Münchhausen. Ein wenig klingt das hier an:

      https://forum.eu/users...

      Insofern erscheint mir dieses schematische, mantraartige Argumentieren mit "Neoliberal" oder nicht ziemlich einfallslos. Der Witz ist, eine kontrollierte und effiziente Zuwanderung könnte da ja helfen. Scheint aber in D die Parteien und Bürger völlig zu überfordern. Die ganze Auseinandersetzung ist ja nicht (mehr?) rational und auf allen Seiten von Ressentiment und unguten Gefühlen getrieben. Der komplexen Lage nicht angemessen. Die alten Narrative und Vorwürfe scheinen zunehmend wechselseitig Allergien hervorzurufen. Aber den Akteuren fällt auch nichts Neues ein um den Gordischen Knoten zu durchschlagen. Man bleibt in den Schützengräben eines kalten Bürgerkriegs ….

      Die AfD war ja 2013 als "Anti-Euro-Partei" gegen die Währungsunion angetreten. Die Schuldenpolitik spielte wohl kaum eine direkte Rolle. Als rechtsradikal wurde sie damals schon hingestellt. Und zur Zeit erweist sich scheinbar jede traditionelle mit überkommenen Schlagworten betriebene Politik der Ampel als hilfreich für die AfD oder BSW. Vielleicht sollten die Regierenden dem Volk genauer zuhören und auch mal in andere Länder, etwa im Norden des Kontinents schauen?

    5. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hatte 2019 eine Studie zum ökonomischen Stand der Wiedervereinigung erstellt. Dessen Präsident, Reint Gropp, hatte daraufhin gefordert: „Wir müssen uns vom Dogma gleichwertiger Lebensverhältnisse verabschieden. Dieses Ziel ist eine gefährliche Illusion und führt dazu, dass wir viel Geld ineffizient ausgeben.“ Die Förderung solle sich auf ostdeutsche Städte konzentrieren, und ländliche Räume sollten aufgegeben werden.

      Das löste heftige Kontroversen in Wissenschaft und Politik aus, siehe z. B.:

      Bundeszentrale für politische Bildung https://www.bpb.de/the...

      Sächsischer Landtag https://www.landtag.sa...

      Die Friedrich-Ebert-Stiftung konstatiert, dass es sich bei der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, geht aber im Einzelnen der Frage nach, welche Anforderungen an die Politik sich bei ihrer Durchsetzung ergeben: https://library.fes.de...

      U. a. werden strukturschwache Regionen nicht darum herumkommen, gezielt ausländische Fachkräfte anzuwerben. Wie das in der Praxis geschieht, berichtete Thüringens MP Bodo Ramelow wiederholt in den Medien. Der Freistaat beheimatet mittelständische Unternehmen, die hoch spezialisierte Produkte herstellen, weswegen sie der Allgemeinheit wenig bekannt, auf dem Weltmarkt jedoch führend sind.

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      @Lutz Müller Das ist alles gut und schön. Aber es ergeben sich eben nicht nur Anforderungen an die Politik. Sondern vor allem Anforderungen an das Volk, an die Bürger. Die Politik allein löst überhaupt keine Probleme. Sie kann Rahmenbedingungen schaffen, in denen die Bürger erfolgreich agieren können. Wenn aber Politik/Staat über Jahrzehnte den Eindruck fördert, sie seien der Problemlöser für fast alles, muss sie sich nicht wundern, wenn das Volk oder zu mindestens Teile davon, dass auch einfordern.

    7. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Ich glaube nicht, dass sie diesen Eindruck fördern. Die Kommunikation mit dem Volk stimmt oft nicht. Untereinander läuft sie, national wie auch in der EU, viel zu häufig einer gegen den anderen, und daher kommen eben die nötigen Rahmenbedingungen gar nicht zustande. Siehe auch https://forum.eu/volks...

    8. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor 3 Monaten

      @Lutz Müller Ich höre das ständig, als Kernaussage in diversen Medienformaten: Die Leute wollen, dass die Politik ihre Probleme löst. Und implizit als Nachsatz: Weil sie andere Erfahrungen machen, wählen sie rechts.

    9. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 3 Monaten

      @Silke Jäger Ja, bestimmt ist das so, oder sie wählen BSW. Andererseits gibt es auch zivilgesellschaftliches Engagement, das Probleme anpackt. Hat das abgenommen, ich meine langfristig, abgesehen von den Zerstörungen, die Corona angerichtet hat?
      Auch Vereine benötigen gewisse Rahmenbedingungen, stoßen auf unnötige bürokratische Hürden.

    10. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor 3 Monaten

      @Lutz Müller Naja, selbst wenn Vereine etc. weiter aktiv sind: Es gibt Regionen, in denen herrscht Untergangsstimmung. Und wenn man da hört: Liegt daran, dass die Politik nicht will oder nicht kann. Wie viel Vertrauen in die Kraft der Zivilgesellschaft und der Politik bleibt übrig? Zumal alles gefühlt zu langsam geht https://forum.eu/users...

    11. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 3 Monaten · bearbeitet vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Ich habe große Zweifel an der These, dass die Migrationspolitik die AfD stark gemacht hat. Dort, wo die AfD besonders stark ist, nämlich – um einen Begrifflichkeit des britischen Germanisten und Publizisten James Hawes aufzugreifen – in den ostelbischen deutschen Kolonialgebieten, gibt es kaum Migranten. Was mir eher einleuchtet ist, dass Migration ein Auslöser war und vor allem eine Projektionsfläche ist. Dazu passt, dass mir mehrfach Menschen aus Ostdeutschland gesagt haben, dass man ihnen lange erzählt hat, es sei kein Geld vorhanden, deshalb müsse die öffentliche Infrastruktur ausgedünnt und zurückgebaut werden. Viele Menschen haben diese neoliberalen Erzählungen geglaubt. Aber als dann 2015/16 die Zahl der Asylsuchenden aus dem mittleren Osten schnell anstieg, war dann plötzlich doch Geld da. Nicht die Migranten, sondern das Auffliegen der neoliberalen Lügen hat offenbar viele Menschen aufgebracht. Die AfD hat diese Situation für ihre rassistische Hetze dann zu nutzen gewusst. Das spricht dann auch eher dafür, dass die Sparpolitik den Aufstieg der AfD befeuert.

      Eine andere, durchaus aus meiner Sicht ebenfalls nachvollziehbare Interpretation des Aufstiegs rechter Parteien bietet Ivan Krastev. Seine These steht dabei nicht im Widerspruch zu der These, dass Sparpolitik die AfD befeuert. Nach Krastev sind es vor allem alternde und schrumpfende Gesellschaften, in denen in Europa derzeit rechtsextreme Parteien mit emigrationsfeindlichen Positionen Zuwachs verzeichnen. Aus Sicht von Krastev steckt dahinter die Angst vor einem kollektiven Tod: Die Zahl der, die Träger:innen der ursprünglichen Sprache und Kultur sind, fürchten, das infolge der Schrumpfung der Gesellschaft, die dann zugleich Zuwanderung erforderlich macht, um als Gesellschaft zukunftsfähig zu bleiben, Sprache und Kultur gänzlich verschwinden könnten. Dahinter steckt die Idee, dass nach unserem persönlichen Tod ein Teil von uns in unserer Sprache und Kultur weiterlebt. Krastev denkt hier in philosophisch-theologischen Kategorien. Als Theologe kann ich das gut nachvollziehen, was Krastev sagt. Wenn Krastev mit seiner These richtig liegt, dann ist aber auch klar, dass neoliberale (Wirtschaft-)Politik in der Tat ein Brandbeschleuniger für Faschismus und Nationalsozialismus (beides ist m.E. nicht identisch) ist.

      PS: Krastev hat die von mir skizzierte These an verschiedenen Stellen geäußert. Zuletzt in diesem Beitrag auf Spiegel Online (Krateves Sicht wird ziemlich am Ende des recht langen Beitrags beschrieben): Wie Faschismus beginnt. Die heimlichen Hitler. Kehrt der Faschismus zurück? Oder ist er schon da mit Trump, Orbán und Höcke? Und wenn ja, könnte er wieder verschwinden? Über den Versuch, das Böse zu erkennen. Spiegel-Titelstory von Lothar Gorris und Tobias Rapp. (https://www.spiegel.de...)

    12. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten · bearbeitet vor 3 Monaten

      @Jürgen Klute In der Tat gab es eine Zeit, in der es in den "ostelbischen deutschen Kolonialgebieten" kaum Migranten gab. Wenn man von den Kolonisten absieht, die das Land damals kolonisiert haben. Ich würde übrigens Thüringen und Sachsen nicht unbedingt als Kolonialgebiete bezeichnen - auch nicht als westdeutsche.

      Seit der Wiedervereinigung allerdings werden Flüchtlinge in D nach dem Königssteiner Schlüssel verteilt. Es kommen also zunehmend anteilig eine größere Zahl im Osten dazu. Es gibt zahlreiche Flüchtlingsunterkünfte bei begrenzten Wohnraum. Es entstehen Kosten, genau wie in den westlichen Bundesländern. Auch die Schulen stehen vor Problemen mit einer zunehmenden Zahl nicht deutschsprachige Kinder. Ossis sind ja nicht blöd, es gibt Fernsehen mit Berichten über Brennpunkte in deutschen Großstädten. Viele Ossis kennen den Westen haben dort gearbeitet beziehungsweise haben Familienmitglieder dort. Dass sie solche Zustände nicht haben wollen, ist ja erst mal nachvollziehbar. Insofern ist die These, im Osten gäbe es ja gar keine Flüchtlinge und daher könnte das auch nicht eine wesentliche Ursache für den Rechtsdrall sein, nicht richtig.

      Es hat im Osten übrigens nicht wirklich einen neoliberalen Rückbau gegeben. Die Straßen, die sanierten Innenstädte und Infrastrukturen sind in der Regel besser als im Westen. Es ist unendlich viel Geld, dorthin geflossen. Die Ruhrbarone berichten: "Experten schätzen, dass der Westen seit 1990 gut zwei Billionen Euro in die ehemalige DDR geschickt hat. Auch heute noch werden Milliardensummen in den Osten überwiesen: Sei es durch den Länderfinanzausgleich, durch Hilfen der viel geschmähten Europäischen Union oder zur Finanzierung der Ostrenten."

      https://www.ruhrbarone...

      Das wird oft vergessen. Wie überhaupt viel falsches Bewusstsein, Unkenntnis über sich selbst und Geschichtsvergessenheit über die Vereinigungsrozesse herrscht. Krastev deutet dies ja richtig an. Natürlich ist auch nicht alles gut gelaufen.
      Ich verbringe fast die Hälfte des Jahres inzwischen in Brandenburg. Ich habe Freunde in Sachsen und Thüringen. Um zu verstehen, wie der Osten tickt,, wie die vielen Zerr-Bilder über den Osten zu Stande kommen, muss man einfach mal mit den Menschen reden. Man bekommt dann vielleicht einen differenzierteren Eindruck, als es die Dauerhysterie in den Medien über den Osten nahe legt. Das hat diese Doku übrigens sehr gut gemacht:
      https://forum.eu/users...

    13. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Also: Wir leben in einer freien und offenen Gesellschaft. Deshalb ist der "Königssteiner Schlüssel", der allein auf Menschen angewandt werden darf, die im Asylverfahren sind. Und dort auch nur bei der Erstverteilung.

      Migration ist aber nicht auf Asyl beschränkt. EU-Bürger haben das Recht, sich in der EU niederzulassen, wo immer sie wollen. Und Menschen aus Drittstaaten mit einem Arbeitsvisum, einem Geschäft oder einem Studienvisum können ebenfalls frei ihren Wohnort in Deutschland wählen.

      Der "Königssteiner Schlüssel" berücksichtigt im im übrigen auch die Gegebenheiten in den jeweiligen Bundesländern.

      Du schreibst: “Viele Ossis kennen den Westen haben dort gearbeitet beziehungsweise haben Familienmitglieder dort. Dass sie solche Zustände nicht haben wollen, ist ja erst mal nachvollziehbar. Insofern ist die These, im Osten gäbe es ja gar keine Flüchtlinge und daher könnte das auch nicht eine wesentliche Ursache für den Rechtsdrall sein, nicht richtig.“

      Von "solchen Zuständen" zu sprechen hat es schon in sich. Welche Zustände sind denn damit gemeint? Man kann auch nicht gerade behaupten, dass eine solche Zuschreibung frei von Vorurteilen wäre.

      Weiterhin schreibst du: "Es hat im Osten übrigens nicht wirklich einen neoliberalen Rückbau gegeben." Das stimmt schon. Aber dennoch ist die Einwohnerzahl vieler Städte und Dörfer strak zurückgegangen. Und das hat u.a. (wenn auch nicht nur) mit einer neoliberalen Politik zu tun. Ich habe auch nie Klagen über schlechte Straßen im Osten gehört. Was die Menschen umtreibt ist, dass in kleinen Ortschaften kaum noch öffentliche Versorgungsstrukturen sind. Für Behördengänge muss man in die nächste Kreisstadt fahren. Kommunale Verwaltungsstellen sind in kleinen Ortschaften oft geschlossen worden aus Kostengründen. Das hat für die Leute in diesen Orten spürbare Folgen. Darum geht, nicht um Straßen. Und es geht um ausgedünnten ÖPNV. Und die Einwohnerschaft in kleinen Ortschaften hat oft einen hohen Altersdurchschnitt, weil jüngere Menschen wegziehen. Das – so Krasetev – erzeugt ein Gefühl von Vergessen-sein. Mit neuen Straßen bekommt man dieses Gefühl eben nicht weg, da es andere Ursachen hat.

    14. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      @Jürgen Klute Ich sag ja, einfach mal mit den Ossis reden. Ich kenne keinen, der wirklich was gegen ausländische Arbeitskräfte hat oder europäischen Migranten, die hier ihren Geschäften nachgehen. Sei es der Italiener um die Ecke oder der vietnamesische Gemüseladen. So schlau ist man im Osten auch (bis auf ein paar Bekloppte, die es ebenso im Westen gibt), dass man ein bestimmtes Maß an Migration braucht. Es geht wie in allen europäischen Staaten um die stark gestiegene Zahl an Asylanträgen und die Tatsache, dass man diese nicht schnell genug integrieren kann und auch nicht abschieben, wenn kein Asylgrund besteht usw. usw. Die Frage nach den Zuständen, die ich meine - was soll ich da groß sagen. Frag das die Bürger und Wähler, erkläre ihnen, das ist alles normal in einer offenen Gesellschaft und man kann dagegen eh nichts tun, alles nur falsches Bewußtsein und rechte Hetze. Dann bleibt von den linken Parteien gar nichts mehr übrig. Wäre doch schade - oder?

      Natürlich. Schrumpfen die kleinen Ortschaften. Einerseits durch die Alterung andererseits dadurch, dass es junge Menschen in die Großstädte zieht. Das ist weltweit so. Im Osten sicher beschleunigt durch die Wende. Das dies Folgen hat für die Versorgung mit öffentlichen u.a. Dienstleistungen ist doch wohl klar. Ich würde das nicht Kostengründe nennen sondern es ist eine Frage der Ressourcen, die eine Gesellschaft überhaupt hat - Arbeitskräfte, Energie und ja, auch Geldmittel. Wer jedem Kleckerdorf eine "Vollversorgung" mit Verwaltungen, Ärzten, ÖPNV oder Supermarkt verspricht, kann entweder nicht rechnen oder er ist ein bewußter Populist. Ja, es ist schwierig, auch in meinem Kleckerdorf hier. Es funktioniert mit viel Kreativität und Solidarität der Bürger. Der Staat ist in den Details eher hilflos.

    15. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten

      @Jürgen Klute Ich verstehe, dass dir Lindner's Strategie nicht passt. Ich finde es auch richtig, die unterschiedlichen Auffassungen zu diskutieren, aber nicht, in dem man die eigene Sichtweise als gesichert wahr hinstellt. Und alle anderen als unmoralisch und falsch. Es geht also um die faire Diskussion unterschiedlicher Herangehensweisen. Ansonsten habe ich zunehmend das Gefühl, wir befinden uns hier in einem kalten Bürgerkrieg gut gegen böse.

    16. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Die FDP war mal eine Bürgerrechtspartei. Derzeit stellt sie sich vor allem als fossiler Lobbyverein dar – auf Bundesebene wie auch auf EU-Ebene. So wird die FDP in Brüssel mittlerweile auch wahrgenommen. Das beim Namen zu nennen, ist weder moralisierend noch unfair, sondern spiegelt halt nur Fakten und Entwicklungen wieder. Schließlich ist es eine innerparteiliche Entscheidung der FDP gewesen, sich für Sozialabbau ein zu setzen und auf fossilen Lobbyismus als heutiges Markenzeichen. Öffentliche Debatten haben nunmal den Sinn und das Ziel, solche Mutationen sichtbar zu machen und auch politisch einzuordnen. Ob das der FDP oder ihren Sympathisanten gefällt oder nicht, darf in einer öffentlichen Debatte kein entscheidendes Kriterium sein. Das Grundgesetz definiert die Republik u.a. als Sozialstaat und fordert eine Sozialbindung privaten Eigentums. Das sind selbstverständlich rechtliche wie auch ethische Maßstäbe, die zu einer Beurteilung und Bewertung der Positionen der FDP heranzuziehen sind. Wozu sollte ein Grundgesetz sonst dienlich sein?

      Wenn Steuergeschenke an die reichsten Gruppen der Gesellschaft gemacht werden und die Sozialabgaben im Gegenzug gekürzt werden sollen – begründet mit der Schuldenbremse – dann ist das in der Tat unmoralisch. Aber nicht nur das, eine solche Politik hat auch das Potential, eine Demokratie zu zerstören.

      Die FDP lehnt Steuererhöhungen für Wohlhabendere entschieden ab. Die FDP hält kompromisslos an der Schuldenbremse fest. Um einen ausgeglichenen Haushalt für 2025 hinzubekommen, sind Kürzungen im Sozialbereich kaum vermeidbar.

      Die Schuldenbremse verhindert zudem eine ausreichende Investition in die Energie- und Verkehrswende, um die EU-Vorgaben (die von der Bundesregierung in Brüssel mit beschlossen wurden) zur CO2-Reduktion bis 2023 zu erfüllen. Daher drohen Strafzahlungen an die EU – dieser Regelung hat die Bundesregierung in Brüssel ebenfalls zugestimmt. Die Strafzahlungen sind abhängig von den Preisen für CO2-Emissionszertifikate. Laut einer Berechnung des Spiegel betragen die drohenden Strafzahlungen mindestens neun Milliarden Euro und nach derzeitigem Wissensstand maximal etwa 55 Milliarden Euro (https://www.spiegel.de...).

      Der Haushalt passt jetzt schon nicht in das enge Korsett der Schuldenbremse. Wie sollen dann diese drohenden Strafzahlungen finanziert werden? Aber das ist ja noch nicht alles. Um die Strafzahlungen zu stoppen, muss dann ja obendrauf noch investiert werden, um die CO2-Emissionen tatsächlich abzusenken. Das heißt doch, diese Art der Sparpolitik wird immer teurer. Irgendwann werden dann Schattenhaushalte konstruiert (siehe das Sondervermögen für die Bundeswehr). Diese Strategie macht den Haushalt erst richtig intransparent. Die Bundesregierung weiß um all diese Problem – vor allem darum, dass diese Politik in wenigen Jahren (vor 2030) zu enormen und kaum mehr steuerbaren gesellschaftlichen Spannungen und Verwerfungen führt. Es ist einfach unverantwortlich, eine solche Politik zu verfolgen.

      Die verteidigungspolitischen Fragen sind dabei noch nicht berücksichtigt. Die machen die Situation aber nicht einfacher, sondern noch komplizierter.

    17. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten · bearbeitet vor 3 Monaten

      @Jürgen Klute Hier kommen wir wieder mal nicht zusammen. Inhaltlich begründbare Positionen grundsätzlich als Sozialabbau und Lobbyismus zu diskreditieren ist keine gute Methode. Einen Sozialstaat erhält man nich auf Dauer über Schulden - im Gegenteil. Der Staat ist i.d.R. ein schlechter Investor. Es macht keinen Sinn immer mehr Ressourcen über noch höhere Steuern oder hohe Schulden (die Zinsen und Tilgung erfordern) durch staatliche Bürokratien und Regeln verteilen zu lassen. Die Geschichte hat da im real existierenden Sozialismus eigentlich ihr Urteil gesprochen. Auch scheint die politische Methode sich Zustimmung zu verschaffen, in dem man soziale Wohltaten verspricht gerade nicht mehr richtig zu funktionieren. Möglichst hohe Sozialausgaben sind ja kein Selbstzweck, keine Einbahnstrasse und kein Ruhekissen. Sozialausgaben müssen so gestaltet werden, dass sie die Gesellschaft stabilisieren, dynamisieren und zukunftsfähig machen. Sie als heiligen Gral zu inszenieren, der nur wachsen darf, wird auf Dauer in den Ruin führen. Oder zur Abwahl ….

    18. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Ich diskreditiere hier niemanden, ich nehme nur ernst, was die FDP so an Vorschlägen in die Medienlandschaft pustet.

      Du schreibst, der Staat sei ein schlechter Investor. Das ist eine gewagte Behauptung. Sicher wird kaum jemand bestreiten, dass es staatliche Fehlinvestitionen und Fehlentscheidungen gibt. Die gibt es allerdings genau so in der Privatwirtschaft.

      Ich frage mich dann aber auch, wie die Bundesrepublik wohl aussähe ohne öffentliche Investitionen in Verkehrswege, in Schulen, in Universitäten, in das Gerichtswesen, in innere und äußere Sicherheit, in das Gesundheitswesen, in die Energie- und Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, in den Küstenschutz, in die Sicherheit des Luftverkehrs, in öffentliche Parks und Museen, etc. Ohne all diese Investitionen wäre Deutschland wohl nicht eines der wohlhabendsten Länder auf dem Globus. Das Problem liegt nicht in den getätigten Investitionen, das Problem liegt in den seit Jahrzehnten verschleppten Investitionen in den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur, wie eben bei der Bahn oder bei vielen Straßen und Brücken. Die Folgen dieser Investitionsverschleppung spüre ich regelmäßig, wenn ich in Deutschland bin. Die tätlichen Probleme, die sich aus der Investitionsverschleppung in den Erhalt der öffentlichen Infrastruktur ergeben, lassen sich einfach nicht wegdiskutieren. In den westeuropäischen Nachbarländern, die diesem Sparwahn nicht verfallen sind und die statt dessen ihre Infrastruktur gepflegt haben, bestehen diese Probelme einfach nicht.

      Da sich die FDP sich kompromisslos weiter für diese erwiesenermaßen desatröse Sparpolitik einsetzt, delegitimiert sie sich einfach selbst. Die Umfrageergebnisse zeigen ja, dass das den Wähler:innen durchaus bewusst ist. Wer will schon eine Partei in den Parlamenten sitzen haben, die ideologisch so verbohrt ist, dass sie sowohl der Wirtschaft als auch dem Staat nur Schaden zu fügt? Erst gestern war im Spiegel zu lesen, dass mittlerweile die Automobillobby ein Verkaufsverbot von Benzin und Diesel ab 2045 fordert, um Planungssicherheit zu haben und um die nötigen CO2-Reduzierungen zu erreichen. Das ist auch eine deutliche Klatsche für die rückwärtsgewandte Verkehrspolitik der FDP.

    19. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten · bearbeitet vor 3 Monaten

      @Jürgen Klute Ich höre aber hier nicht, was die FDP an Vorschlägen in die Medien pustet. Ich lese hier deine subjektive und weltanschaulich gefilterte Interpretation dessen, was die FDP sagt. Das ist schon ein Unterschied. Und was die Umfrageergebnisse betrifft, da sollten alle Ampelparteien und die Linke sich an die eigene Nase fassen ob ihrer ideologischen Verbohrtheiten. Wenn der Wähler bei der FDP richtig liegt, dann wohl auch bei den Klatschen für die anderen.

      Natürlich gibt es auch in der Privatwirtschaft Fehlentscheidungen, -investitionen und Pleiten. Aber in der Welt gibt es weniger als 200 Staaten, hingegen existieren mehrere Millionen Unternehmen. Fehler in Unternehmen haben meist eine direkte Rückkopplung und dezentrale Lernprozesse zur Folge. Ein Unternehmen, dass Fehler begeht und scheitert, ist häufig eine Lehre für andere Unternehmen. Für Staaten (und politische Parteien) scheint mir das Licht in dem Maße zu gelten. Lernprozesse dauern oft Jahrzehnte, führen in die Irre oder finden gar nicht statt. Die Schäden sind sehr viel größer und lang anhaltender als Fehler in Unternehmen. Das gilt umgedreht natürlich auch für Erfolge bei richtigen Politiken. Und so sind die wirklich großen Wirtschaftskrisen immer auch ein beträchtliches Staatsversagen oder wirtschaftlich gute Zeiten eine Folge guter staatlicher Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Ich hab in und für zwei Staaten gearbeitet. Habe ihre Strategien, für deren Regierungen und für mich analysiert. Die Bundesrepublik und ihre Parteien könnten so viel lernen aus den Fehlern der DDR, Ihrer Ökonomie, ihren Sozialstaat und den Wechselwirkungen zwischen beiden. Man hat es mehr oder weniger als irrelevant ab getan.

      Was natürlich nicht heißt, das Staaten gar nicht investieren sollten. Aber der Ausgangspunkt des Streites wahr ja wohl die Frage, wie man privates Kapital mobilisieren und gleichzeitig die öffentliche Verschuldung senken kann. Wobei Du meintest das sei "böse". Es ist klar, dass die Bundesrepublik in den Zeiten des hohen Wirtschaftswachstums nach dem Krieg viele und gute Infrastrukturen geschaffen hat - mit übrigens sehr niedrigen Schuldenständen. Man war Bestandteil der wirtschaftlich und technologisch weit überlegenen westlichen Welt in Aufbruchstimmung. Wirtschaftswachstum und hohe Produktivität ermöglichten gute Infrastrukturen. Nicht umgekehrt. Dazu ein schlanker Staat mit schlanker Bürokratie, schlankeren Gesetzbüchern etc.. Das scheint mir vorbei zu sein. Blühende Bürokratie, Einzelfall-Gerechtigkeit, politische, Rechthaberei, Bedenkenträgerei, Absicherung lähmen die Politik. Und wie Trittin so schön zugegeben hat, nutzt man Regulierungshürden auch zum ausbremsen von ideologisch unliebsamen Technologien. Sei es Kernkraft oder Gentechnik. Die Wachstumsraten sinken, Anspruchshaltungen steigen. Wir können weder viele Bahnhöfe der Flughäfen noch andere große Investitionsprojekte zu geplanten Kosten und Zeiten fertigstellen. Von KKW ganz zu schweigen. Staatliche Investitionen werden zu schwarzen Löchern für Steuergelder. Und dafür soll der Staat noch mehr Schulden aufnehmen? Es ist ja auch nicht wahr, das andere europäische Staaten mit viel höherer Staatsverschuldung insgesamt besser dastehen. Frankreich hat vielleicht eine bessere Eisenbahn, aber seine Atomkraftwerke sind offensichtlich unterinvestiert und die Banlieue, die Schulen und ihre Ergebnisse sind auch kein Anzeichen für gutes Wirtschaften mit Schulden. Und Le Pen wird immer stärker.

    20. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 3 Monaten

      @Thomas Wahl Dass die FDP das Bürgergeld als zu hoch empfindet und gerne um 20 Euro kürzen würden, ist nicht meine ideologisch geprägte Interpretation, sondern eine Forderung der FDP, über die u.a. die Tagesschau am 12.08.2024 berichtete – und zwar unter dem Titel "Der FDP ist das Bürgergeld zu hoch" (https://www.tagesschau...).

      Nach Kriegsende 1945 kam zunächst das Krisenjahr 1946. Infolge der zerstörten Infrastruktur kam es zu massiven Versorgungsengpässen. Das war ein entscheidender Anstoß dafür, dass die USA den Kredit (also Schulden) finanzierten Marschal-Plan für Europa aufgelegt haben. Er hat den Wiederaufbau der Zerstörten Infrastruktur und der Industrie ermöglicht. Zudem war er verknüpft mit der Verpflichtung zur Kooperation der beteiligten europäischen Länder. 1953 folgte dann das Londoner Schuldenabkommen, dass Deutschland einerseits einen Teil der Schulden aus der Zeit von vor und nach dem 2. WK erließ und andererseits den Export erleichtert, um für die Rückzahlung der Restschulden nötige Außenhandelsüberschüsse erzielen zu können.

      Zudem gab es als innerdeutsche Regelung das Lastenausgleichsgesetz. Die mit dem Lastenausgleichsgesetz finanzierte gesellschaftliche Umverteilunge wurden aus einer Sonderabgabe auf Vermögen (also durch Steuern und nicht durch Kredite) finanziert.

      Dieser Mix unterschiedlicher Maßnahmen, die teils Kredit und teils Steuer finanziert waren, haben die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg, der sich dann ab Mitte der 1950er Jahre einstellte, geschaffen. Nicht umgekehrt.

    21. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Monaten · bearbeitet vor 3 Monaten

      @Jürgen Klute Man kann ja für oder gegen diese 20 € Senkung des Bürgergeldes sein. Es gibt Gründe dafür und Gründe dagegen, ein Skandal ist es jedenfalls nicht. Auch kein Sozialabbau, nachdem man vorher das Bürgergeld erhöht hat. Außer man denkt, dass Sozialleistungen immer nur höher werden dürfen. Viele Wähler scheinen das nicht so zu sehen.

      Natürlich waren Aufbaukredite und das Streichen von Reparationszahlungen nach 45 auch eine Wachstumsspritze für Westeuropa. Man kann Schulden auch streichen. Die Kosten trägt dann der Kreditgeber oder der Empfänger der Reparationszahlungen. Aber der Streit geht doch hier nicht darum, Kredite und Schulden per se zu verbieten. Die Schuldenbremse erlaubt, weitere Schulden aufzunehmen. Sie begrenzt die Schuldenhöhe, so wie auch die EU die Einhaltung einer gewissen Schuldenquote fordert. Die Schuldenbremse fordert für außerordentlich hohe Neuschulden auch eine stichfeste Begründung. Darüber wacht bisher das Verfassungsgericht. Also große Schuldenerhöhung sind ein mögliches Instrument in außerordentlichen Situationen, aber kein Dauerinstrument. Es ist sicher bequem für Politiker und Parteien große Versprechungen über Schulden zu finanzieren. Für Gesellschaften ist dies keine empfehlenswerte Dauermethode. Es schwächt Währungen und Kreditwürdigkeit. Letztendlich macht es arm, Wer also mehr Schulden machen möchte, muss dies politisch argumentieren und über Mehrheiten erkämpfen. Das Diffamieren von Gegnern solcher Erhöhungen ist m.E. kein Instrument guter Politik.

  3. Silke Jäger
    Silke Jäger · vor 3 Monaten

    Ich bin erstaunt, dass noch mehr Finanzminister auf diesem Gleis fahren. Unserer sticht aber dann doch wieder durch ein paar Aussagen hervor, die zeigen, wie gut er es versteht, Klientelpolitik zu machen.

    1. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 3 Monaten

      Ja, Deutschland ist zwar die treibende Kraft bei der Sparpolitik und hat aufgrund seiner wirtschaftlichen Größe auch einen entsprechenden Einfluss in der EU. Aber schon lange wird die deutsche Sparpolitik auf europäischer Ebene von der niederländischen, der österreichischen und auch der finnischen Regierung unterstützt (natürlich immer auch abhängig von der aktuellen Regierung, aber vor allem sind es diese vier Länder gewesen, die sich für eine Sparpolitik stark machen).

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