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Zeit und Geschichte

"Mit der Aufklärung wurde die Zeit zu einem Gefängnis"

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
Zum Kurator'innen-Profil
Dirk LiesemerMontag, 21.09.2020

Wer einmal das Vergnügen hat, in der Themenkonferenz eines Magazins zu sitzen, dem werden bei jedem Vorschlag die immergleichen Fragen gestellt: Was genau ist jetzt die Geschichte? Soll heißen: Was ist der Kern eines Konflikts, den es doch wohl hoffentlich gibt, und wer kämpft noch mal gegen wen und für was? Warum überhaupt sollen wir das alles erzählen? Wen interessiert's? Es sind vorhersehbare, nervige, gleichwohl notwendige Fragen, die aber schon mal verhindern, dass Themen, die auf den ersten Blick abstrakter sind, eine Chance erhalten. Und damit wären wir bei diesem Interview mit dem Historiker Sandro Guzzi-Heeb, in dem es um einen subtilen, ja flüchtigen Stoff geht, den lustiger- oder bezeichnenderweise selbst die Geschichtswissenschaft kaum auf dem Zettel hat, obwohl er seit Jahrhunderten zu so vielen Konflikten führt und weiterhin führen wird: Es geht um die Zeit. Man kriegt sie halt kaum zu greifen, weder journalistisch noch sonst wie. Trotzdem: "Wenn wir die sozialen Kämpfe verstehen wollen", sagt Guzzi-Heeb, "müssen wir die unterschiedlichen Zeitkonzeptionen und Zeitpraktiken verstehen." Das mag abgehoben klingen, wird im Gespräch aber recht konkret ausgeführt.

"Mit der Aufklärung wurde die Zeit zu einem Gefängnis"

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Kommentare 5
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor 4 Jahren

    Stimme meinem vor-Kommentatoren zu. interessant ist vielleicht noch ein aspekt: zyklisch im Sinne von Nicht-Linear meint ja (auch) die Sichtweise dass die Welt sich ...wiederholt. und linear ist eng verbunden mit einem fortschrittsglauben.

  2. Uwe Protsch
    Uwe Protsch · vor 4 Jahren

    Ich finde, hier wird ein einseitiges Bild der Landbevölkerung im 19. Jahrhundert gezeichnet. Hunderttausende Bauern haben Europa verlassen, weil sie offensichtlich mit dem Plan, den Gott für die Welt hatte, nicht zufrieden waren. Mag sein, dass sie in ihrer Heimat mehr Muße hatten, aber was soll ich mit der freien Zeit anfangen, wenn ich ausgemergelt und mittellos bin. "Zyklisches Zeitregime" bedeutete damals stumpfsinnige Schwerstarbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wie z.B. Mähen und Dreschen zur Erntezeit. Und die Bauern im Jura haben bestimmt nicht angefangen, Uhren herzustellen, weil sie so geschäftstüchtig und "zeitbewusst" waren, sondern schlicht, um sich etwas mehr als das allernötigste leisten zu können und ihre bittere Not etwas zu lindern.

    Zeitstress kann unangenehm sein, aber wenn die Zeit nicht gemessen wird, dann sind der Willkür Tür und Tor geöffnet.

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor 4 Jahren · bearbeitet vor 4 Jahren

      Ja und nein. Ja, viele Bauern waren arm und Millionen Europäer haben in der Neuen Welt nach einer besseren (und freieren) Zukunft gesucht, aber das lag meiner Einschätzung nach nur zum Teil am zyklischen Zeitregime, sondern eher an der zunehmenden Rationalisierung und Modernisierung der Landwirtschaft - an Entwicklungen also, die von einem sachlichen, technischen Denken herrühen.

      Und nein: Mit zyklischem Zeitregime ist weniger der Verlauf eines Tages gemeint - jedenfalls verstehe ich es nicht so -, sondern der immer wiederkehrende Rhythmus des Jahres und seiner kirchlichen Feiern, was allerdings im Text nur angedeutet wird.

      Und waren es wirklich Bauern, die begannen, Uhren herzustellen? Oder doch eher Handwerker und Feinmechaniker?

    2. Uwe Protsch
      Uwe Protsch · vor 4 Jahren

      @Dirk Liesemer Sorry, aber ich muss Dir widersprechen.

      1.) Die Auswanderer im 19. Jahrhundert flohen vor dem Hunger (in Irland), der Leibeigenschaft (Russland) und der Aussichtslosigkeit ihres Lebens als Landarbeiter (Deutschland und Italien). Von "Modernisierung der Landwirtschaft" konnte noch lange keine Rede sein; die Mechanisierung begann erst Ende des 19. Jahrhunderts.

      Zwar war das Leben als Farmer in Amerika auch gewiss kein Zuckerschlecken; aber im Allgemeinen waren die Ackerflächen leichter zu bearbeiten als etwa in den gebirgigen Regionen Europas (Die großen Anbauflächen in Ostdeutschland gehörten ja dem Adel und nicht den freien Bauern). Und man war sein eigener Herr!

      2.) Was das "zyklische Zeitregime" angeht, gebe ich Dir recht, dass es sich auf das Jahr bezog. Genau das hatte ich auch gemeint. Die Bauern und Landarbeiter mussten im Frühjahr pflügen und säen, im Herbst mähen und dreschen. In beiden Phasen war man abhängig vom Wetter und musste unentwegt schuften, solange die Bedingungen gegeben waren und bis das Werk vollbracht war. In diesen Zeiten gab es keine Erholung, weil man nicht riskieren durfte, Saat oder Frucht an das Wetter zu verlieren. Ich finde ein solches "Zeitregime" viel schlimmer als Stechuhren und Akkordarbeit.

      3.) Im Text geht zumindest aus der Frage des Interviewers hervor, dass es Bauern waren, die mit der Uhrenherstellung im Jura begannen. Heimarbeit war immer schon ein Teil der bäuerlichen Existenz und wurde meistens von Frauen geleistet, die das noch zusätzlich zu all ihren anderen "Pflichten" schaffen mussten und also wahrscheinlich noch elender dran waren als die Männer. Textilien, Möbel, Spielzeug und viele andere Produkte wurden gefertigt; Waren mit höherer Marge wie Uhren waren die Ausnahme. Sich mit Heimarbeit aus dem Elend herausarbeiten konnten daher sicherlich nur die Wenigsten; für alle Anderen ging es nur darum, die hungrigen Mäuler satt zu kriegen.

    3. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor 4 Jahren

      @Uwe Protsch Ah, okay, danke für die Ausführungen!

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