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Zeit und Geschichte

Unpiq: Hurra, wir haben verloren!

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMittwoch, 30.06.2021
Die letzten deutschen Truppen haben Afghanistan verlassen. Eine Epoche geht zu Ende, nicht nur für Deutschland, sondern für den "Westen".

Der hier kritisierte Artikel ist zum einen nicht zufällig ausgewählt, da es eine Polemik gegen Herfried Münkler, einen der besten Analytiker der multipolaren Welt ist, zum anderen gibt es Dutzende vergleichbare Beiträge, die nicht wahrhaben wollen, dass sich das internationale Gefüge gravierend verschiebt. Das muss man nicht gutfinden, aber akzeptieren sollte man es, um realistische Politik zu machen.

Richtig gibt der Autor Münklers These wieder:

“Die Idee einer globalen Ordnung mit gemeinsamen Werten” sei damit “definitiv aufgegeben worden – auch wenn sie in der Rhetorik der Nichtregierungsorganisationen nach wie vor bespielt werden.” Ab jetzt, so Münkler, würden “die liberalen Werte des Westens (…) auf absehbare Zeit nur im Westen und in den ihm zugehörigen Räumen” gelten.

Richard Herzinger hält entgegen:

Wer den universellen Anspruch der “westlichen Werte” preisgibt, spielt den Verächtern der liberalen Demokratie in die Karten, die auch im Westen selbst zuhauf dafür bereitstehen, ihr den Todesstoß zu versetzen.

Ambivalenzen gibt es hier nicht, die dunkle Seite der Moderne wird gar nicht erhellt. Es gibt hier nur dunkle Kräfte, die liberale Demokratien bedrohen. Dass diese aber oft Teil eines Ungleichheit und Zerstörung mit produzierenden Systems waren und sind, das wird ausgeblendet.

Ob sich das in Zukunft ändern läßt, muss offen bleiben.

Global gesehen ist die Idee der 1990er Jahre im Westen so auf Erden gescheitert. Es geht bei einer Vielzahl von autoritären Mächten darum, eine friedliche Koexistenz zu schaffen, um nicht in einen großen Krieg zu geraten.

Bei aller Aufrüstung von China oder Russland: die meisten Waffen werden in liberalen Demokratien hergestellt - für die Kriege der Welt.

Allein die USA hat ein um vielfaches größeres Rüstungsbudget als alle Diktatoren der Welt zusammen.

Für Deutschland gilt es wieder eine Außenpolitik zu gestalten, die die EU zusammenhält, damit diese im Konzert der Großmächte nicht zu Vieles den USA und China überlässt.

Trotz der Zunahme autoritärer Mächte und Parteien seit der 2008 begonnenen Weltwirtschaftskrise bedarf es der Zusammenarbeit mit kontinentalen Schlüsselstaaten, insbesondere mit Russland oder Indien.

Die "werteorientierte Außenpolitik" des Westen wird von der Mehrheit der Staaten als "ethischer Imperialismus" und "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" abgelehnt.

Die eurasische Konstellation, die für Deutschland entscheidend ist, EU-Russland-China ist nicht mit einer "werteorientierten Außenpolitik" zu gestalten, sondern für absehbare Zeit mit einer der friedlichen Koexistenz.

Ansonsten droht Deutschland unfähig zur eigenständigen Außenpolitik zu werden. Die von den USA geforderte Entkopplungs- und Eindämmungspolitik gegenüber China und Russland widerspricht unseren Interessen.

Deshalb haben kluge Beobachter der Veränderungen Recht und starre Vertreter des Weiter-So Unrecht.

Veränderungen beginnen damit, unhaltbare Positionen und Haltungen aufzugeben. Insofern ist die Überschrift nicht nur sarkastische Übertreibung.



Unpiq: Hurra, wir haben verloren!

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Kommentare 3
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als 3 Jahre · bearbeitet vor mehr als 3 Jahre

    zwei Punkten kann ich uneingeschränkt zustimmen:

    die westlichen Demokratien sind nicht automatisch die "Guten", nein - sie weisen u.a. einen inhärenten Aspekt Ungerechtigkeit mithin iliberales auf. Und ja sie exportieren enorme Mengen kriegswaffen, auch an die Autokraten Diktatoren und Feinde der Demokratien... Das konterkariert natürlich u.a. den WerteAnspruch des Westens.

    Dann muss Europa endlich (weiter) (ernst) machen mit einer eigenen einheitlichen Außenpolitik (=und ja das bedeutet eine einheitliche Innenpolitik und damit eine Vertiefung der Union). die Argumente hierfür sind banal und lang bekannt.

    Wem ich nicht zustimmen kann, ist, dass das alles auch bedeuten würde, dass "wir" scheinbar pragmatisch Russland und China gegenüber diese Werte nicht mehr vertreten sollen "weil es unseren Interessen widerspricht".

    Ich bin durchaus der Meinung dass wir keine Kontakte kappen sollten und Politik eben auch mal bedeutet,mit Menschen deren Meinung und Handlungen man komplett nicht teilt und verurteilt, weiterhin zu reden ... und besonders wenn es um gefährliche potentielle Feinde handelt.

    Dann muss man sich aber eins klar machen:
    diese Art Diplomatie setzt man nur bei potentiellen Feinden ein und oder mit jemandem der ein vollkommen anderes Menschenbild (menschenrechte-bild) hat.

    Russland gehört hier leider wieder dazu. Das war oder schien in den 1990igern anders.
    Und - zumindest laut deren eigener Rhetorik auch heute noch - behauptet Rußland ja durchaus dass es Demokratie und menschenrechte achtet etc.

    Übrigens wie China auch (wenn China auch nicht wirklich auf dem demokratischen Weg war wie Russland; da haben wir Westler uns gern selbst belogen mit unserer Interpretation der chinesischen ach so westlich wirkenden kapitalistischen Freiheiten).

    unabhängig davon: wir dürfen - bei aller berechtigten und wichtigen Selbstkritik und philosophischer postmoderner infrageStellung - die sog. westlichen Werte nicht in ihrem universellen Anspruch aufgeben.
    Denn im Grunde alle Länder der Welt beziehen sich heute auf menschenrechte und propagieren Demokratie (selbst ihre größten Feinde).

    Da dürfen wir schon unsere "Interessen" ergänzen und diese Werte auch zur Basis unserer Außenpolitik machen.

    Bedeutet dass nun bei Rußland oder China ... unvorsichtig sein zu können sollen?
    nein.
    (Das gilt auch für Saudi-Arabien etc.).

    Kontakt und auch bestimmter Handel ist durchaus möglich.

    Aber wir dürfen sollten dabei klarstellen dass wir sie wegen ihre Verletzungen der Menschenrechte und ihres politischen Systems nicht für Demokratien halten und daher derzeit nicht für stabile Partner über gewissen Handel und zb Wissenschaftlichen Austausch hinaus gehend (= das bedeutet u.a. keine Waffenlieferungen!).
    und natürlich müssen sie dabei mit Einschränkungen rechnen wenn sie in unseren Staaten auftreten.
    Denn sie sind keine Freunde. Keine Partner und keine Mitgestalter einer gegenwärtigen und zukünftigen globalen Ordnung.

    Hierbei so aufzutreten ohne beleidigend zu sein ohne arrogant zu wirken,
    erfordert natürlich enormes Geschick.
    Aber derzeit wirken wir ungeeint heuchlerisch und schwach.
    weil wir etwa nicht mal innerhalb unseres großen Werteprojekts EU - also gegenüber eindeutig als Freunde deklarierten, auch institutionell und politisch verbundenen Partnern wie Ungarn oder Polen - unsere Werte durchsetzen bzw. einhalten.
    Das muss sich ändern.
    Denn die größte politische Währung ist Glaubwürdigkeit.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 3 Jahre

      Soweit sind wir, glaube ich, gar nicht voneinander entfernt.

      Ich meine es, im Sinne von Brandt/Bahrs Ost- und Entspannungspolitik. Sie sprachen nicht mehr über die freie Welt, obwohl sie natürlich wussten, dass in ihrem Land mehr erlaubt war als in der Sowjetunion oder der DDR. Eine Wertediskussion führt, so ihrer neue Haltung, zu nichts.

      Sie verhandelten über Besuchsmöglichkeiten, Austausch und andere konkrete Dinge. Das war mit der berühmte Formel "Wandel durch Annäherung" gemeint.

      Es hieß nicht, dass sich Breschnew den Werten des Westen annähert und Brandt/Bahr denen der KPdSU.

      Das muss man heute natürlich anpassen, da wir in einer multipolaren Weltordnung leben. Aber Reisen nach und von Russland sind für Normalos immer noch schwierig. Das gilt selbst für die komplett von der EU umschlossene Enklave Kaliningrad.

      Eine Umrundung der Ostsee scheitert oft immer noch an den russischen Küsten.

  2. Der Barde Ralph
    Der Barde Ralph · vor mehr als 3 Jahre

    Ein großartiger Beitrag, der hoffentlich von AKK und den Transatlantikern auch wahrgenommen wird.

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