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Zeit und Geschichte

Was "Aktenzeichen XY.. ungelöst" zeigt – eine Mentalitätsgeschichte

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergDonnerstag, 10.08.2023

Der neue Film von Regina Schilling ist bedauerlicherweise nur bis zum 24.08.2023 in der ZDF-Mediathek zu sehen. Mit der Geschichte der extrem erfolgreichen Reihe "Aktenzeichen XY... ungelöst" von Eduard Zimmermann erzählt die Regisseurin eine Mentalitätsgeschichte der alten Bundesrepublik. Die erste Sendung lief 1967, Zimmermann produzierte und moderierte die Sendung bis 1997 und sie läuft bis heute. 

Sie wird als weltweit erste True-Crime-Format bezeichnet und ist zugleich ein Beispiel für interaktives Fernsehen.

In der Ankündigung der Sendung heißt es:

Aus dem zeithistorischen Abstand ... ergibt sich für die Regisseurin ein tieferer Befund: Eduard Zimmermanns Sendungen vermitteln filmisch normative Bilder gesellschaftlicher Ordnung. "Wer einmal begonnen hat, genauer hinzuschauen, wird sehen, wie nachhaltig Zimmermann Spuren bei uns hinterlassen hat", sagt Regina Schilling, die – selbst Teil der Generation der Babyboomer – ihre Erinnerungen an unheimliche TV-Abende einfließen lässt. "Wie viele der Ängste, die die Sendung damals ausgelöst hat, beschäftigen uns noch heute – insbesondere Frauen?"

Nach ihrem Film "Kulenkampffs Schuhe" (Deutschland 2018), in dem sie das Unterhaltungsfernsehen der Nachkriegsära analysierte, lässt die Regisseurin ein weiteres Mal Bild- und Lebenswelten des TV von damals aufleben. In der Rückschau transportieren sie Werte und Weltbilder ihrer Zeit – über Kriminalistik und Technik, Beruf und Familie, Frauen und Männer, Medien und Minderheiten, Täter und Opfer wie Homosexuelle, Mädchen, Prostituierte.

Und hier einige Kritiken zum Film:


In der Filmkolumne im Perlentaucher stellt Thomas Groh das Werk vor:

Regina Schillings Doku "Diese Sendung ist kein Spiel - die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann" erkundet, wie Eduard Zimmermann in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren mit seiner Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" bundesdeutsche Seelenlandschaften quasi kolonisierte und mit filmischem Schwarzweiß verplombte. Und dabei vor allem Frauen immer wieder das Gefühl vermittelte, ihr Freiheitsdrang fordere Mord und Vergewaltigung geradezu heraus.

Im Tagesspiegel kommt Kurt Sagast zum Schluss:

Während sich Ende der 1960er Jahre die westdeutsche Gesellschaft nachhaltig verändert, mit „Beat Club“ und außerparlamentarischer Opposition und Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“, bleibt Eduard Zimmermann standhaft auf ZDF-Gegenkurs. „Er erklärte uns, was wir tun dürfen und was nicht. Wie die Abweichung von der Norm bestraft wird. Ob Homosexuelle oder alleinstehende Frauen. Wer sich nicht in bürgerlichen Bahnen bewegt, lebt gefährlich.“ Für Regina Schilling ist das die stärkste Message der Zimmermann-Jahre von „Aktenzeichen XY ungelöst“. Eine andere Frage ist: Was sagt es aus, dass die Sendung noch immer im Fernsehen läuft?

In der NZZ merkt Marcel Gyr kritisch an:

Mit der Doku «Kulenkampffs Schuhe» hatte die Filmemacherin in braune, bisher kaum bekannte Ecken der frühen Fernsehstars geleuchtet. Die verstörenden Schlaglichter liess sie weitgehend unkommentiert für sich stehen – was grosse Klasse hatte. In ihrer neuen Produktion setzt Regina Schilling ihren einzigen Protagonisten auf die Anklagebank. Das kann man machen – aber es wirkt weniger souverän.

Im Deutschlandfunk Kultur und im WDR 5 findet man Interviews mit der Regisseurin.


Was "Aktenzeichen XY.. ungelöst" zeigt – eine Mentalitätsgeschichte

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Kommentare 7
  1. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor mehr als ein Jahr

    Stefan Niggemeier hat sich auch zum Film geäußert: "Er hat nur einen Haken: Er überzeugt mich nicht." https://uebermedien.de...

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      Danke für die Ergänzung.

      Diesmal ist die die Regisseurin weit subjektiver, wahrscheinlich schwächer als beim Vorgängerfilm, weshalb ich die NZZ-Kritik verlinkte.

      Niggermeier entgegnet der Subjektivität der Filmemacher mit seiner eigenen. Das ist schwach.

  2. Fabian Peltsch
    Fabian Peltsch · vor mehr als ein Jahr

    Faszinierend auf mehreren Ebenen, danke für die Empfehlung!

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      Gern geschehen.

  3. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

    Nun hat Elmar Krekeler den Film in der WELT besprochen:
    https://www.welt.de/ku...

    Bemerkenswert ist diese Passage:

    "Ausbrüche aus der Sphäre bürgerlicher Wohlanständigkeit erklärte Pfarrer Zimmermann in seinen predigtartigen Moderationen mit mehr oder weniger sanfter Biegung der Kriminalstatistiken für gefährlich. Gerade für Frauen. Das Böse – Männer mit Strumpfhosen über den Gesichtern – waren immer die anderen. „Aktenzeichen XY“ erzählte einem Volk der Täter immer Opfergeschichten.
    ...
    Die erste Tote von „Aktenzeichen XY“ übrigens, die uns irgendwie bekannt vorkam, sah aus wie unsere Mutter, als sie jung war. Und ihr Mörder kam nicht von irgendwo aus der Welt. Es war ihr Verlobter. Ein Fall von häuslicher Gewalt. Das hat die Kriminalpolizei Jahre später selbst herausgefunden."

  4. Monika Kienle
    Monika Kienle · vor mehr als ein Jahr

    Danke für den Tipp UND die Sammlung der Pressestimmen. NZZ spricht für sich.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      Das freut mich. Allerdings: Die NZZ liegt nicht ganz falsch. Im neuen Film ist die 1962 geborene Regisseurin betroffener als in "Kulenkampffs Schuhe". Den Zweiten Weltkrieg erlebte sie nur indirekt, die Warnungen, wie ein Mädchen auftreten soll, direkt.

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